Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
gekauft hat? Bestimmt nicht, um mir eine Freude zu bereiten. Ich glaube, es machte sich einfach gut. Vor allem gegenüber dem Jugendamt. Wir haben Marius einen Hund geschenkt. Ein Tier ist so wichtig für ein Kind. Marius wird Verantwortungsgefühl entwickeln. Und er hat jetzt einen Freund ganz für sich! « Marius stand wieder auf, begann hin und her zu
gehen. »Das ganze Blablabla«, sagte er, »darin war Lenowsky gut. Er wusste immer ganz genau, was man zu welchem Menschen sagen muss. Er hatte einen eigenen Stil mit der Sozialtante vom Jugendamt, mit dem Vorstandsvorsitzenden einer Bank, mit der Stewardess im Flugzeug. Er war jedes Mal ein anderer. Und lag immer genau richtig. Immer so, dass er für sich das Beste herausholte.« Er blieb stehen, fuhr sich wieder einmal mit der Hand über das Gesicht und durch die Haare. Er wurde immer zittriger. Zum Teufel, er würde nicht mehr allzu lange um die Notwendigkeit herumkommen, ein paar Stunden zu schlafen.
»Der arme Hund. Der hatte auch unter Fred Lenowskys kranker Art zu leiden. Lenowsky geilte sich unheimlich an dem Gedanken auf, innerhalb der Familie eine Art Rudel zu bilden, mit einer genau festgelegten Rangordnung. Er selbst war natürlich das Leittier. Ich stehe an der Spitze, sagte er immer. Er sagte es manchmal hundertmal am Tag.«
Sie sah ihm direkt in die Augen. »Sie haben völlig Recht«, sagte sie, »er ist verrückt. Er ist krank.«
»Als Nächstes kam Greta, dann ich, dann der Hund. Stell dir vor, dem Hund wurde beigebracht, dass er immer als Letzter durch die Tür zu gehen hatte. Anders wird er es nicht lernen, sich unterzuordnen , sagte Fred. Und Unterordnung war so immens wichtig für ihn. Ich hatte von einem Hund geträumt, der vor uns her aus dem Haus tollte, voller Lebensfreude und Kraft. Fred machte aus Clarence ein unterwürfiges Tier, das ängstlich darauf achtete, den ihm beigebrachten Status als letztes Glied in der Kette nicht zu verletzen. Der Hund durfte so wenig leben wie ich. Weißt du, worauf Fred ebenfalls bestand? Clarence durfte immer nur als Letzter sein Essen bekommen. Und wenn Fred abends weg war, bei den vielen Veranstaltungen, an denen er beruflich teilnahm, dann musste Clarence bis nach Mitternacht warten. Hungrig
und voller Unruhe. Fred fand es klasse, heimzukommen, noch ein Stück Brot zu essen und genüsslich zu beobachten, wie Clarence vor Hunger und Gier halb verrückt war. Er kostete seine billige Macht von Herzen aus. Irgendwann schob er ihm dann großmütig die Futterschüssel zu. Und Clarence leckte ihm hinterher fast die Füße vor Dankbarkeit.«
Rebecca schluckte. »Sie sind an einen Psychopathen geraten, Marius«, sagte sie, »und ich kann Ihnen nicht sagen, wie Leid es mir tut. Für Sie und für Clarence. Lenowsky ist einer der Psychopathen von der schlimmsten Sorte. Einer, der im Alltag nicht auffällt und dem deshalb nie das Handwerk gelegt wird. Der als erfolgreicher und hoch angesehener Mensch seinen sicheren Platz innerhalb der Gesellschaft behauptet. Dem Anerkennung und Respekt gezollt werden. An seinem Grab werden dereinst die Honoratioren der Stadt stehen und ergriffene Worte finden, die seine herausragenden Leistungen würdigen. Es ist so ungerecht. So furchtbar. Aber es passiert ständig und überall.«
Sie verstand ihn. Sie war hundertprozentig auf ihn konzentriert. Ihr Mitgefühl war echt, da war er fast sicher. Er hatte sie erreicht mit seinen Worten.
»Warum nur?«, fragte er. »Warum hat er mich in sein Haus geholt? Mit all seinem Hass und seiner Verachtung – warum hat er das getan?«
Rebecca lächelte ein bisschen, aber es war, wie er nach einem Anflug von Argwohn erkannte, kein verächtliches Lächeln. Es war traurig. »Die Antwort gibt Ihnen doch Clarence«, sagte sie. »Es ging um Macht. Bei Menschen wie Lenowsky geht es immer um Macht. Das ist das Kranke an ihnen. Wie einfach ist es, einen Hund zu unterwerfen. Wie einfach ist es, ein Kind gefügig zu machen. Lenowsky brauchte das. Ich vermute, er war fast süchtig danach. Zu sehen, dass jemand Angst vor ihm hat. Dass jemand um seine Gunst bettelt.
Dass jemand völlig abhängig ist von seinen Launen und Stimmungen. Das war sein Kick im Alltag. Und ein Pflegekind kam da wie gerufen für ihn. Sie haben ihn ja belauscht im Gespräch mit seinen Freunden. Lenowsky brauchte jemanden, den er schikanieren konnte, aber er hatte nicht die geringste Lust, sich auf eine Verbindlichkeit einzulassen. Es ging ihm nie um ein Kind. Um dessen Leben und
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