Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
ausführlich gesprochen. Die sagt, sie wurde beruhigt, dass hier bereits einmal Untersuchungen angestellt worden wären, die zu dem Ergebnis geführt hätten, dass das Kind wilde Schauermärchen erfinde. Man werde aber dranbleiben. Sabrina hatte ein gutes Gefühl, weil sich immerhin die Abteilungsleiterin selbst kümmerte. Und sie kannte Lenowsky nicht. Diese Aversion, die ich hatte, konnte sie gar nicht entwickeln.«
»Sie ließ Marius also auch im Stich.«
»Er rief später noch einmal an. Aber es passierte wieder das Gleiche. Meldung beim Jugendamt. Beschwichtigung.« Clara sah Bert nicht an. »Sabrina trifft nicht halb so viel Schuld wie mich. Sie konnte ja im Grunde auf eigene Faust überhaupt nichts machen. Sie brauchte das Jugendamt, und da dort die große Vertuschung stattfand … Und sie kannte niemanden von den Beteiligten. Im Unterschied zu mir konnte sie weder erkennen, dass mit Lenowsky etwas nicht stimmte, noch konnte sie mitbekommen, dass hier ein Kind irgendwelchen Männerfreundschaften und daraus erwachsenden politischen und finanziellen Verstrickungen geopfert wurde.«
»Jetzt hör aber auf, dich als die Alleinschuldige zu sehen«, sagte Bert, »du warst einfach auch überfordert. Ich meine, wenn jemand schuldig ist, dann doch vor allem die Drahtzieher im Hintergrund. Und natürlich vor allem die Lenowskys selbst. Aber die haben ja ihre Quittung auch bekommen.«
»Aber sie waren möglicherweise nur der Anfang.«
»Der Typ ist ja echt durchgeknallt«, sagte Bert, »so wie der kann man doch seine Probleme auch nicht einfach regeln.«
»In der Tat nicht«, stimmte Clara zu, bezweifelte jedoch, dass er die Ironie in ihrer Stimme wahrnahm.
»Und was gedenkt die Polizei nun zu tun?«
»Sie fahnden nach ihm. Er ist natürlich der Hauptverdächtige. Seine Wohnung steht leer. Nachbarn haben ihn und seine Frau seit über einer Woche nicht gesehen. Ihrer Aussage nach ist er aber wohl ganz einfach verreist. Seine Frau und er wurden gesehen, wie sie am Dienstag letzter Woche gegen Abend mit Rucksäcken davonzogen.«
»Hm. Und wohin? Das sagt man den Nachbarn doch manchmal?«
»In diesem Fall bestand wohl wenig Kontakt. Niemand weiß etwas. Kronborgs Leute versuchen jetzt, etwas über die Verwandtschaft von Marius’ Frau in Erfahrung zu bringen. Die Adresse ihrer Eltern haben sie, aber die Eltern sind auch verreist.«
»Ich möchte mal wissen, woher die Leute alle so viel Geld haben«, murrte Bert. »Wir können uns das Verreisen nicht so einfach leisten!«
»Im Moment haben wir aber ganz andere Probleme.«
»Stimmt. So wie Sabrina und Agneta.«
»Und Rebecca Brandt. Kronborg hat mir erzählt, dass sie in den Briefen an Sabrina Baldini ebenfalls heftigst attackiert wird. Der Schreiber droht alles Mögliche an, was er mit ihr machen will. Sie war die Leiterin von Kinderruf . In ihren Broschüren wandte sie sich direkt an die Kinder, versprach Hilfe und Einsatz für ihre Probleme. Möglich, dass Marius sich von ihr besonders verraten fühlt. Dabei hat sie von der ganzen Geschichte überhaupt nichts mitbekommen. Sie war die Geschäftsführerin, und nicht jeder Fall vom Sorgentelefon landete bei ihr. Sabrina hatte das in Eigenregie gemanagt, zumal es eben ganz klar in den Einflussbereich des Jugendamts gehörte. Rebecca Brandt war nicht involviert.«
»Was der Irre natürlich nicht weiß.«
»Offensichtlich nicht. Er konnte sich nur nicht direkt an sie wenden. Rebecca ist seit einem Jahr nicht mehr bei der Organisation, genau genommen weiß ich gar nicht, ob es Kinderruf überhaupt noch gibt. Rebecca lebt nicht einmal mehr in Deutschland. Kronborg sagt, dass Sabrina seit etwa eineinhalb Jahren praktisch keinen Kontakt mehr zu Rebecca hatte. Aber sie hatte gehört, dass Rebeccas Mann im letzten Jahr tödlich verunglückt ist, und war auch bei der Beerdigung. Danach hat sich Rebecca irgendwo verkrochen. Sie ist völlig untergetaucht.«
»Wahrscheinlich sucht der Irre sie.«
»Das kann sein.« Clara sagte das ganz ruhig, aber innerlich war sie starr und kalt vor Angst. »Aber wenn das so ist, dann verfolgt er wirklich den Plan, mit allen an seinem Fall Beteiligten so zu verfahren wie mit den Lenowskys. Dann läuft er jetzt Amok.«
»Scheiße«, meinte Bert aus tiefster Seele.
»Ich werde bald auch dran sein«, sagte Clara.
5
Ein Schweißausbruch hatte Ingas ganzen Körper mit Nässe überschwemmt. Sie zitterte, obwohl fast eine Stunde vergangen war, seitdem sie seine Schritte auf der Treppe
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