Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
hatte angeboten, an diesem Tag an ihrer Seite zu sein, und so hätte es sich auch gehört, denn er war Felix’ bester Freund gewesen, und diese Rolle über Jahre durchzuhalten war ihn hart genug angekommen. Aber sie hatte abgelehnt.
Viele hatten ihm gesagt, er sehe sehr blass und elend aus,
und natürlich hatte man das auf die Erschütterung wegen des Todes seines Freundes geschoben. In Wahrheit war alles viel schlimmer gewesen: Die Nachricht vom Tod Felix’ war ihm im ersten Moment wie die Antwort auf alle seine Gebete erschienen, aber schon wenig später hatte er begriffen, dass sich seine Situation nur verschlechtert hatte. Rebecca würde in endloser Trauer versinken und sich nie im Leben auf eine Beziehung mit einem anderen Mann, schon gar nicht mit ihm, einlassen, und von nun an würde er auch in ihrem Haus nicht mehr ein – und ausgehen können, denn das hätte sie als anstößig und ungehörig empfunden. Der Kontakt würde sich auf ein Minimum beschränken, eine Karte zu Weihnachten und zum Geburtstag, und vielleicht würde sie sich irgendwann überreden lassen, mit ihm einen Kaffee trinken zu gehen, obwohl ihm selbst das, wenn er sie so anschaute, angesichts ihres Schmerzes unwahrscheinlich und zumindest in absehbarer Zeit völlig ausgeschlossen schien.
Er würde sie verlieren. Sie hatte ihn alles gekostet: seine Ehe, sein Haus. Die Chefarztstelle. Für nichts. Für gar nichts.
Die Chefarztstelle. Er war so dicht dran gewesen. Er war ein Könner, er hatte gute Beziehungen, er hatte Charisma. Er hatte einfach alles, was ihn zum Chefarzt prädestinierte. Leider hatte er auch ein kleines Alkoholproblem. Weil er das Alleinsein manchmal nicht ertrug, weil er es nicht ertrug, Rebecca und Felix zu sehen, weil er nicht damit klarkam, dass er sein wunderschönes Haus hatte verkaufen müssen, um die Schlampe auszubezahlen, die er irrsinnigerweise geheiratet hatte … Er war keineswegs ständig betrunken, er lallte nicht, er roch nicht nach billigem Fusel, lief nicht unrasiert durch die Gegend – Herrgott, er war kein verdammter Penner! Es hatte nur einmal die Sache mit dem Führerschein gegeben, da hatten sie ihn gestoppt, als er abends in der Gegend herumfuhr, unfähig, die Leere und Stille seiner Wohnung zu ertragen,
und zerrissen von seiner Sehnsucht nach Rebecca. Er hatte einen ziemlich hohen Promillewert gehabt, was ihm seltsam vorkam, er musste mehr getrunken haben, als ihm bewusst gewesen war. Aber wie auch immer, er war für ein Dreivierteljahr den Führerschein losgewesen. Er dachte, er hätte das ziemlich gut getarnt, aber es mussten sich Gerüchte gebildet haben, und wahrscheinlich war dann auch alles aufgebauscht worden … Jedenfalls hatte er Nachforschungen angestellt, nachdem die Chefarztstelle an einen anderen vergeben worden war, und er hatte herausgefunden, dass von ihm behauptet wurde, er sei nicht ganz unanfällig für Alkohol. Einen erstklassigeren Karrierekiller als diese Charakterisierung konnte sich ein Mann, der Chefarzt werden wollte, gar nicht wünschen. Fantastisch. Diese Sache war gelaufen, und Rebecca konnte sich nun auch noch seine geplatzten Berufswünsche ans Revers heften.
Wenn er es sich richtig überlegte, war es auf der Beerdigung gewesen, dass erstmals in ihm der Gedanke erwacht war, Rebecca müsse sterben, damit er eine Chance hätte, ins Leben zurückzufinden.
Vielleicht war er auch deshalb so blass gewesen. Er hatte diesen Entschluss ja keineswegs leichten Herzens gefasst. Zu erkennen, dass man die Frau töten musste, die man liebte, konnte einem schon alle Farbe aus den Wangen treiben. Schließlich war er kein Verbrecher. Im Gegenteil. Als Arzt hatte er sich der Aufgabe verschrieben, Menschenleben zu retten, Menschen zu heilen. Aber es wurde ihm mit jeder Minute, die der Tag voranschritt, klarer, dass es auf dieser Welt nur Platz gab für ihn oder Rebecca, und nachdem es Rebecca gewesen war, die ihn rücksichtslos und verächtlich behandelt hatte, stand für ihn fest, wer von ihnen beiden gehen musste. Und er würde es geschickt anfangen. Raffiniert. Er würde sich Zeit nehmen. Er war kein versoffener, liebeskranker
Trottel! Sie sollte schon wissen am Ende, wen sie verschmäht hatte. Wessen Leben sie fast zerstört hätte.
Fast. Denn wäre sie erst tot, das fühlte er voll herrlicher Gewissheit, dann konnte sein Leben neu beginnen. Dann wäre er frei. Er würde sich seiner unerträglichen Einsamkeit entledigen und endlich wieder eine Beziehung mit einer anderen Frau
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