Der Fremde ohne Gesicht
möglich? Sie war wirklich sehr schön, nicht nur anzuschauen, meine ich, sondern auch als Person. Sie war einfach wunderbar.« Tränen liefen ihm über die Wangen.
Zum ersten Mal, seit sie den Mann kannte, empfand sie Mitleid mit ihm. Seinem Ruf zum Trotz schien er aufrichtig bestürzt und außer sich zu sein über das, was seiner jungen Frau widerfahren war. »Ich werde so behutsam wie möglich vorgehen. Das verspreche ich Ihnen«, sagte sie leise.
Clarke dankte ihr mit einem Nicken und stand auf, unterstützt von Shaw, der immer noch seinen Arm hielt. Der Chief Constable nickte Sam zu. »Vielen Dank, Dr. Ryan, wir wissen das sehr zu schätzen.«
Im Hinausgehen wechselte Shaw noch ein paar leise Worte mit Trevor Stuart. Dann kehrte Trevor in das Büro zurück und setzte sich auf den Stuhl, den Clarke gerade verlassen hatte. »Diesmal musst du dein Bestes geben, Sam. Die ganze Welt wird dir auf die Finger schauen.«
»Er sah ziemlich fertig aus.«
Trevor nickte. »Überrascht mich nicht. Sie war jung und schön.«
»Ja, die alten Männer und ihre jungen Frauen, was, Trevor?«
Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum, ging aber nicht auf die Bemerkung ein. »Also, wir werden in diesem Fall ganz besonders umsichtig vorgehen, nicht wahr?«
Sam stand auf und machte sich auf den Weg nach draußen, um sich den Kittel anzuziehen. »Trevor, ich gehe immer umsichtig vor. Ob es nun die Frau eines Abgeordneten oder die Frau eines Obdachlosen ist, für mich sind sie alle gleich.«
»Obdachlose können aber dieser Abteilung nichts anhaben, Clarke schon. Vergiss das nicht«, rief Trevor ihr nach.
Sophie Clarkes Leichnam war schon vor Sams Ankunft aus dem Leichensack geholt und auf den Tisch gelegt worden. Wie immer führte Flannery die Aufsicht, sodass Sam sicher war, dass die Sache richtig gemacht wurde. In jeder Phase der Prozedur wurde die Leiche fotografiert und auf Video festgehalten. Die Beutel, die den Kopf, die Hände und die Füße des Opfers umhüllten, wurden vorsichtig entfernt und in anderen Beuteln aufbewahrt, damit etwaige Materialien, die sich während des Transports der Leiche gelöst haben konnten, erhalten blieben. Die Fingernägel wurden abgekratzt, die Haare durchgekämmt. Sowohl vom Kopf als auch aus dem Schambereich wurden Haarproben entnommen und in separaten Beuteln versiegelt. Dann wurden Vorder- und Rückseite der Leiche nochmals abgetapet, um etwaige Kontaktspuren oder lose Rückstände aufzunehmen.
Sam sah Flannery an. »Ist der Leichnam geröntgt worden?«
»Das habe ich veranlasst, bevor Sie kamen, Doktor. Ich dachte, das spart uns etwas Zeit.«
Sie hatte es nicht anders erwartet, aber sie wollte sichergehen. Sie rückte das Mikrofon zurecht, das vorne an ihrem grünen OP-Kittel befestigt war, und begann mit ihrem Kommentar.
»Der Leichnam ist der einer weißen Frau von etwa sechsundzwanzig Jahren mit blonden Haaren und blauen Augen. Ernährungszustand und Konstitution sind gut.« Sie nahm eine Tabelle von einem kleinen Beistelltisch zur Hand. »Sie wiegt 52,2 Kilogramm und ist 162,5 Zentimeter groß.« Sie legte die Tabelle zurück auf den Tisch.
»Röntgenaufnahmen und Fotos wurden bereits gemacht. Eine Schnur wurde fest um Hand- und Fußgelenke gebunden, um das Opfer zu fesseln. Eine ähnliche Schnur ist eng um den Hals des Opfers geschlungen.«
Sie sah Flannery an. »Haben wir Fotos von den Hand- und Fußgelenken?«
Er nickte.
»Einschließlich der Knoten?«
»Mehrere Nahaufnahmen, Doktor.«
»Und der Hals?«
»Mit Schnur und Knoten.«
Zufrieden nahm Sam eine OP-Schere und schnitt zunächst die Schnur von den Hand- und Fußgelenken ab, dann vom Hals. Hier ging sie vorsichtiger vor, da die Schlinge so eng zusammengezogen war, dass es schwierig war, die Schere unter die Schnur zu bringen, ohne weitere Verletzungen hervorzurufen. Sobald die Schnurstücke entfernt waren, wurden sie in Beutel verpackt und zur Analyse gebracht.
»Die Schnur scheint von handelsüblicher Art zu sein, von der Dicke und der Struktur her einer Wäscheleine ähnlich. Sowohl an den Fuß- als auch an den Handgelenken befinden sich tiefe Einschnitte und Druckstellen, wo ich die Schnur entfernt habe. Des weiteren weist der Hals mehrere tiefe Furchen auf, wo die Schnur offenbar mehrfach gelockert und wieder angezogen wurde.« Sie wandte sich an den Fotografen. »Könnten Sie mir bitte Nahaufnahmen von Handgelenken, Fußgelenken und Hals machen?« Während sich der Fotograf an die Arbeit machte,
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