Der Fremde ohne Gesicht
ungesehen. Vermutlich hat er sich einen Schuss gesetzt und ist dann da drunter gekrochen, um den Rausch auszuschlafen. Komm schon, Stan. Du versuchst hier aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Ich weiß, es stinkt dir, dass Adams dich abgeschossen hat, und wenn es dir hilft, ich war auch nicht erfreut darüber, aber das hier ist wirklich lächerlich.«
Sharman spürte, wie Ärger in ihm aufstieg darüber, wie leichtfertig Meadows seine Gedankengänge abtat und seine Integrität in Frage stellte. »Aber warum sollte jemand irgendwo mitten in die Pampa gehen, um sich einen Schuss zu setzen?«
Meadows zuckte die Schultern, blätterte die Fotos noch einmal durch und reichte sie dann zurück an Sharman.
»Die tun das nun mal nicht in der Öffentlichkeit, Stan. Sie tun es an ungewöhnlichen, entlegenen Orten. Du warst lange genug im Drogendezernat, um das zu wissen.«
»Ja, war ich. Und ich war auch lange genug dort, um zu wissen, dass sie verdammt noch mal nicht meilenweit weg von der Stadt gehen, um es zu tun. Eine Seitengasse, ein leer stehendes Haus, ein unbenutztes Grundstück, ja. Aber die müssen ja auch an ihren nächsten Schuss denken. Die wandern nicht zwanzig verdammte Kilometer von ihrer Quelle weg, um dann wieder zwanzig verdammte Kilometer zurücklatschen zu müssen, um ihren nächsten Schuss zu kriegen.«
»Vielleicht ist die Person mit jemand anderem gekommen?«
»Ja, nämlich mit dem Kerl, der sie umgebracht hat.«
Meadows begann sich zu entspannen. Sharman hatte nicht genug in der Hand. Wenn er ehrlich war, konnte er nicht ausschließen, dass Sharman Recht hatte, aber noch so ein verdammter Mordfall war das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Die Clarke-Ermittlung lief erst seit ein paar Tagen und schon jetzt mussten sie mit der Mütze in der Hand beim Innenministerium vorsprechen und um ein größeres Budget bitten. Außerdem, wie viele Fixer verreckten jedes Jahr? Wäre dieser hier nicht ermordet worden, hätte er sich wahrscheinlich früher oder später den goldenen Schuss gesetzt. Das taten doch die meisten. Seien wir ehrlich, dachte er, wen juckt das schon? »Du wirst mir schon mehr liefern müssen, Stan. Das reicht nicht, das weißt du genau.«
Sharman stand abrupt auf und beugte sich über den Schreibtisch, sodass Meadows sich auf seinem Stuhl weit zurücklehnen musste. »Das reicht nicht? Verdammte Scheiße, Dick, es gab mal eine Zeit, wo wir mit weit weniger in eine Ermittlung eingestiegen sind, du und ich. Oder arbeitest du nicht mehr in der Verbrechensaufklärung? So was interessiert den modernen Polizisten wohl nicht mehr, was?«
Meadows blieb stocksteif sitzen und schaute an Sharman vorbei, als halte er Ausschau nach Hilfe. Er hatte seinen Ex-Partner schon oft in Aktion erlebt, und um ehrlich zu sein, er hatte Angst vor ihm. »Mit dem, was du da hast, kann ich nicht zu Adams gehen. Der schmeißt das Zeug glatt aus dem Fenster.«
»Adams hat gerade eben auf das Wort eines verdammten anonymen Informanten hin jemanden festgenommen. Da habe ich verdammt noch mal mehr zu bieten.«
»Ein bisschen mehr hat er schon.«
»Und zwar?«
»Die Schnur, die im Haus gefunden wurde, und vielleicht eine DNS-Übereinstimmung.«
»Beides wurde gefunden, nachdem er beschlossen hatte, ihn festzunehmen. Das kriegen wir auch hin. Komm schon, Dick, versuch doch mal wieder dich zu benehmen wie ein Polizist und kremple dein verdammtes Hosenbein wieder runter.«
Meadows überlegte eine Weile. Schließlich gab er nach. »Okay, wenn du willst, rede ich mit Adams. Mal sehen, ob ich ihn überzeugen kann.«
Sharman stieß ein verächtliches Schnauben aus. Der Zorn in seinem Tonfall zwang Meadows zu einer sofortigen Entscheidung.
»Pass auf, ich sage dir, was ich tun werde. Ich gebe dir zwei Wochen für die Ermittlung, okay? Bring mir mehr Beweise, Beweise, mit denen ich zu Adams gehen kann, und ich werde sehen, was sich machen lässt. Bis dahin« – er hob die Hände zu einer Geste der Resignation – »nun, es liegt an dir, Stan. Du hast vierzehn Tage, um mich zu überzeugen, dann will ich dich wieder hier in der Abteilung bei der Arbeit sehen, klar?«
Sharman starrte Meadows einen Moment lang an. »Überstunden?«
Meadows schüttelte den Kopf. »Keine Chance, alle verbraucht, auch nicht im Buch. Wenn ich dauernd Freizeit im Voraus gewähre, ist nächstes Jahr die halbe Kripo im Dauerurlaub.«
Sharman seufzte tief. »Ich dachte, die Ermittlung wäre abgeschlossen?«
»Möglich. Aber das
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