Der fremde Pharao
machten ihn blind für alle Anwesenden. »Nicht anfassen, Fürst«, warnte eine Stimme. Kamose blickte nach unten. Der Hüter der königlichen Insignien saß am Fuß der drei Stufen zur Estrade, seinen Kasten hinter sich. Kamose zwang sich zu einem Lächeln.
»Ich habe nicht die Absicht, ihn anzufassen«, entgegnete er.
»Sieh mal, Kamose«, flüsterte Ahmose. »Hier, auf dem Sitz. Das ist Horus in seiner Gestalt als Falkengott des Horizonts. Wie prächtig er ist!«
»Und sieh dir den Schemel an«, gab Kamose flüsternd zurück. »Der König tritt Ägyptens Feinde, die Neun Bogenschützen, in den Staub, aber die Setius fehlen verdächtigerweise!« Er und Ahmose grinsten sich an, und dieser flüchtige Anfall spöttischer Schadenfreude machte alles wieder gut.
»Wer tritt schon gern seine Vorfahren mit Füßen«, zischelte Ahmose, der vor unterdrücktem Lachen zitterte. »Ach, Kamose! Fast kann einem unser König, dieser Emporkömmling, Leid tun!«
»Psst!« Kamose zeigte auf den Hüter der königlichen Insignien. »Wir sollten hier nicht länger verweilen, Ahmose. Unsere Bewacher werden schon unruhig.« Die beiden stämmigen Soldaten traten in der Tat von einem Fuß auf den anderen und blickten sich beklommen um. Kamose und Ahmose durchquerten den hohen Raum.
Als sie an einer Gruppe vorbeikamen, löste sich ein Mann aus ihr, kam auf sie zu und verbeugte sich mehrfach. »Prinzen«, sagte er, als sie stehen blieben. »Ich bin Fürst Sobek-nacht von Mennofer, Erpa-ha und Erbfürst. Es ist mir eine Ehre, eure Bekanntschaft zu machen.« Sein Lächeln war offen und freundlich. Sie erwiderten die Verbeugung.
»Die Fürsten von Memphis sind ein vornehmes Geschlecht«, sagte Kamose. »Mein Haus gehört augenblicklich nicht mir, Sobek-nacht, aber sei willkommen in Waset. Wir stehen zu deinen Diensten.«
»Danke«, sagte der Mann. »Ich bin Priester der Sechmet, der Löwengöttin von Mennofer. Und ich bin auch einer der königlichen Baumeister, und mein Vater ist Wesir des Nordens. Falls ich euch in irgendeiner dieser Eigenschaften helfen kann, so braucht ihr nur darum zu bitten.«
»Sei bedankt«, antwortete Kamose, und die hochherzigen Worte erschreckten und rührten ihn zugleich. »Im Augenblick bin ich keineswegs in der Lage, dich um irgendeinen Gefallen zu bitten, aber ich weiß dein Angebot zu schätzen.«
»Die Fürsten von Mennofer sind immer sehr mächtige Männer gewesen«, meinte Ahmose, als er und Kamose den Saal verließen und hinaus in den warmen Nachmittagssonnenschein traten. »Glaubst du, dass wir an ihm einen Freund haben, Kamose?« Kamose war sich nicht schlüssig.
»Wir haben keine Freunde«, sagte er knapp. »Wir brauchen weder einen Priester noch einen Baumeister, und Unterstützung durch den Sohn eines Wesirs bedeutet jetzt auch nichts mehr. Es ist zu spät. Wo war der mächtige Erpa-ha und Fürst, als man Seqenenre in die Enge getrieben hat?«
Doch den verbitterten Worten war eine Spur innerer Befriedigung anzuhören. Ägyptens echte Söhne erkannten einander. Viel mehr konnten die Edlen dieses Landes nicht tun, doch Kamose kam sich nicht mehr so allein in einer feindseligen Menge vor. Hinter jedem Gesicht eines nördlichen Fremdländers, das für erlesene Schminkkunst zeugte, konnte sich ein geheimes, aber nicht mutig geäußertes Mitgefühl wie das des Fürsten von Mennofer verbergen. Kamose fragte sich, ob der Setiu-König vielleicht doch auf einem Haus aus schwankenden Binsen saß.
Das Fest dieses Abends war das üppigste, das Waset je erlebt hatte. Der König saß auf der Estrade auf Polstern vor seinem vergoldeten Tisch und umgeben von rosigen Blumen und Frühlingsgrün. Elektrum funkelte, wenn er sich nach rechts zu seiner Königin beugte, Speisen zum Mund hob oder innehielt und die Gesellschaft musterte. Auf seiner Perücke bäumten sich die feurige Uräusschlange, die goldene Kobra und der Geier mit Knopfaugen und wachsamem Blick als Warnung für jedermann. Unter ihm stand der Oberste Herold mit seinem Stab. Seine Fächerträger standen mit den Straußenfedern in der Hand zu beiden Seiten der Estrade bei seinen Generälen und der Leibwache. Die Königin war eine dunkle, zierliche Frau in einem silberdurchwirkten Hemdkleid, an deren Armen Silber klirrte und deren Finger schwer von Gold waren. Hinter ihr plapperten und kicherten drei weitere Gemahlinnen in Wolken von zartem Leinen und fast unter Blumen begraben.
Das Gedränge der speisenden Gäste rings um die vielen Tischchen, die im
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