Der fremde Pharao
gebunden hatte; alsdann entfernte er sich und benachrichtigte seinen Gebieter. »So viele Soldaten!«, entrüstete er sich, als er auf dem Flur hinter Seqenenre herging. »Das ist eine Beleidigung!«
»Natürlich ist es das, aber daran sind wir mittlerweile gewöhnt, oder?«, sagte Seqenenre und humpelte in den Saal. Der Herold stand auf, verbeugte sich und musterte ihn beim Näherkommen. Seqenenre ließ ihn stehen. Er sagte nichts, und der Herold durfte nicht als Erster den Mund aufmachen.
Seqenenre streckte die Hand aus, und man legte die Rolle hinein. Rasch erbrach er das Siegel und las, dann gab er sie an Ipi weiter, der ihm mit vorbereiteter Palette gefolgt war. »Zu den Akten«, befahl ihm Seqenenre knapp. Er betrachtete den Herold, der sich mit einer ausdruckslosen Miene abmühte, doch man konnte ihm ansehen, dass er es beleidigend fand, zum Schweigen gezwungen zu sein. Seqenenre hatte ein Einsehen. »Ich biete dir meine Gastfreundschaft an«, sagte er. »Möchtest du heute Abend meine Gästezimmer benutzen?« Die Miene des Herolds heiterte sich etwas auf, blieb jedoch kühl.
»Vielen Dank, Fürst, aber ich bin gut mit Nahrung versehen, und da ich im Morgengrauen nach Auaris aufbrechen muss, möchte ich mit Verlaub auf der Barke speisen und übernachten.«
»Wenn das so ist«, erwiderte Seqenenre gelassen, »kannst du gehen.«
Er trug den Inhalt der Rolle den Tag über mit sich herum wie eine böse Krankheit, während er sich durch seine Übungen quälte, schlaflos auf seinem Lager lag und das Abendessen mit seiner gleichermaßen lustlosen Familie teilte. Tani und Ahmose, die an der Bootstreppe vorbeigekommen waren und sich die vergoldete Barke vom Ufer aus neugierig angesehen hatten, stellten Fragen, doch die Übrigen wussten aus Erfahrung, dass Seqenenre erst dann reden würde, wenn er dazu bereit war.
Er wartete, bis er vom Tempel zurückgekehrt war. Die Anlegestelle war leer, die Barke fort. Da rief er sie im Empfangssaal zusammen, saß wartend da, die Krücke auf dem Boden neben sich, Ipi zu seinen Füßen, während sie einer nach dem anderen eintraten. Alle waren auf der Hut, sogar seine Mutter. Sie bauten sich vor ihm auf und musterten ihn mit bangem Blick. Das letzte Mal, als er sie feierlich zusammengerufen hatte, war schon Jahre her, als nämlich Apophis einen Staatsbesuch in Waset gemacht hatte. Er betrachtete sie ruhig.
»Apophis hat gesprochen«, sagte er ohne Umschweife. »Er will den Sutech-Tempel hier in Waset selbst bauen, neben dem Amun-Tempel. Nach der Ernte, in zwei Monaten, kommen seine Baumeister und Maurer und begutachten das Gelände. Dann fahren sie weiter nach Swenet und wählen die Steine aus. Wir sollen die Arbeiter zur Verfügung stellen. Dieses Mal war die Rolle vollkommen verständlich.«
Niemand rührte sich. Er konnte auf ihren Gesichtern lesen, dass sie seine verwaschene Sprache verstanden hatten. Er fasste sich an sein Hängelid. »Wir wollen hier keinen Sutech-Tempel haben«, sagte er nachdrücklich. »Keine Baumeister, keine nördlichen Fremdländer. Wir sind Ägypter. Unser Gott ist Ägypter. Wir ziehen auf der Stelle in den Krieg. Kamose, wenn du, Hor-Aha und die Hauptleute, wenn ihr euch alle im Land verteilt, habt ihr das Heer binnen eines Monats hier versammelt. Uni«, damit wandte er sich an seinen Haushofmeister, »hol die Lebensmittelliste und die Waffenliste. Ipi, hol mir die Armeeschreiber.« Er merkte, dass er zu schnell sprach und die Worte durcheinander würfelte, holte tief Luft und zwang sich zur Ruhe. »Ahmose, du kommst nicht mit. Ich möchte, dass du hier bleibst und dich bereithältst, meinen Titel zu übernehmen, falls ich und die anderen nicht zurückkehren.« Er hätte noch weitergeredet, doch Ahmose trat mit gekränkter Miene einen Schritt näher.
»Das ist ungerecht«, begehrte er auf. »Ich bin der beste Schütze in fünf Nomarchen. Und ich bin vor zwei Jahren volljährig geworden und bald achtzehn. Ich kann besser mit Pferden umgehen als Kamose oder Si-Amun.« Aahotep hob die Hand, doch Seqenenre kam ihr zuvor.
»Keine Widerworte«, sagte er streng. »Ahmose, es tut mir Leid, aber du weißt, wie wichtig es für die Familie ist, dass wenigstens ein männliches Mitglied überlebt.«
»Du redest, als müssten wir alle sterben!«, platzte Si-Amun heraus. »Selbstmord ist verboten, Seqenenre!« Noch nie hatte er seinen Vater beim Vornamen angesprochen, und das Wort riss augenblicklich einen Abgrund zwischen ihnen auf. Kamose zog ihn
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