Der fremde Sohn (German Edition)
sich. Dann ließ sie den Kopf auf die Tischplatte sinken. Mit einem Schlag war die Erkenntnis über sie hereingebrochen, was für eine Wüstenei ihr Liebesleben war.
»Die Dinge müssen schon schlecht stehen. Wirklich miserabel«, stöhnte sie.
»Warum?« Leah verzog das Gesicht und wartete, dass ihre Freundin weitersprach.
Carrie hob den Kopf. »Ich habe tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, seine Einladung anzunehmen.«
Max Quinell blickte an dem tristen Wohnblock hinauf, dessen unansehnliche Betonfassade mit dem Himmel verschmolz. Ihm gefiel es hier. Er mochte die Graffiti, die an diesem trüben Tag rot, schwarz und grün leuchteten. Ihm gefiel, dass es hier keine Haustüren mit Bäumen, sorgfältig gestutzten Büschen und Rasenflächen davor gab. Er mochte das beklemmende Angstgefühl, das ihn befiel, als er das Gebäude betrat.
Er zog die Kapuze über und hielt den Kopf tief gesenkt. Unter dem Arm trug er eine Schachtel. Sie war ein bisschen zerdrückt, aber der Inhalt war unversehrt. Mit der anderen Hand kramte er in seiner Tasche, tastete nach den Zigaretten, dem Feuerzeug, dem Geld, das seine Mutter ihm für Taxifahrten auf sein Konto überwies. Dabei nahm er sich nie ein Taxi. Da war der Schlüssel. In seiner Gesäßtasche steckte das Handy und wartete nur darauf, von den Jugendlichen geklaut zu werden, die in Grüppchen herumlungerten. Was er jedoch nicht in seiner Tasche fühlte und schmerzlich vermisste, war ein Messer. Der kompakte, seidenglatte Griff, der die Klinge verbarg, im Handumdrehen gezogen, wenn es nach Ärger roch. Er stellte sich den Ausdruck ihrer Gesichter vor, wenn sie die funkelnde Klinge sahen. Den Schock, die Macht, die Sicherheit. Alle anderen hatten schließlich eins, oder nicht?
Aber er schaffte es einfach nicht, sich ein Messer zu beschaffen. Ohne Ausweis würde ihm keiner eins verkaufen, und er brachte nicht den Mut auf, sich eins von den Kids zu besorgen, die in der Siedlung, wo sein Vater wohnte, herumhingen. Vielleicht würde er noch mehr Ärger auf sich ziehen, wenn er eins hätte. Das wollte er nicht. Andererseits zog er auch dadurch Ärger auf sich, dass er keins hatte, sagte er sich, während er, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauflief.
Max hämmerte an die Tür. Er wartete eine Weile. Vielleicht war sein Vater ja … beschäftigt. Mit jemandem. Dieser Frau, Fiona. Als keine Antwort kam, schloss er die Tür auf.
»Ach du Scheiße!«, rief er angewidert. Der Gestank war überwältigend. Den Ärmel gegen die Nase gedrückt, öffnete er die Vorhänge und riss alle Fenster der winzigen Wohnung auf. Er war schon länger nicht mehr hier gewesen. Und anscheinend auch sonst keiner, dachte er. So viel also zu dieser blöden Assistentin seines Vaters.
»Dad?«, rief er und stellte die Schachtel auf den Wohnzimmertisch. Dann ging er im Raum herum, kickte leere Dosen und alte Fastfood-Kartons beiseite, stolperte über verstreute Kleidungsstücke und hob hier und da CD s und diverse Geräte auf, die er seinem Vater im Laufe der Zeit mitgebracht hatte.
Mit einem Blick auf die Schachtel, die er heute dabeihatte, überlegte er, ob sein Vater das überhaupt haben wollte.
Seufzend ging Max in der winzigen Küche ans Werk, wo es am schlimmsten aussah. Er zog seine Kapuzenjacke aus und hängte sie über eine Stuhllehne. Dann räumte er den Stapel schmutziger Teller und Essenskartons aus dem Spülbecken und begann auszusortieren, was in den Abfall gehörte.
Wenigstens hat er es geschafft, den Müll rauszubringen, dachte Max, als er den leeren Mülleimer mit der sauberen Tüte darin erblickte. Er steckte sich die Ohrhörer in die Ohren und drehte die Lautstärke voll auf. Irgendwie war der Gestank dann nicht mehr ganz so schlimm. Dann machte er sich an den Abwasch, tauchte die dünnen Arme in die Seifenlauge, die rasch braun und fettig wurde. Er ließ das Wasser ab, trocknete die erste Ladung Teller ab und machte anschließend weiter. Zum Schluss besprühte er alle Flächen mit einem Reiniger, den er unter dem ganzen Kram im Schrank gefunden hatte, und wischte nach. Es war doch so leicht, dachte er. Er konnte nicht verstehen, warum es hier so –
»Hey, Mann, was soll der Scheiß!«, schrie er. »Du hast mich fast zu Tode er–«
»Bringt dir deine Mutter eigentlich keine Manieren bei?«, fragte Brody und ließ seinen Sohn los, den er um die Brust gepackt hatte. Als Rache dafür, dass er sich angeschlichen hatte, bekam er einen Schwall Spülwasser ins
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