Der fremde Sohn (German Edition)
wirkte der Babybauch wie eine feste Kugel.
Carrie hatte sie angerufen und angekündigt, sie mit dem Wagen abholen zu lassen, um ihr etwas zu zeigen.
»Es ist genau das, was ich brauche«, sagte sie nun strahlend, als sie die Babysachen sah. »Einfach unglaublich.«
Sie mussten beide weinen, und am Ende lachten sie, weil die Situation so absurd war.
Dann tranken sie zusammen Tee und unterhielten sich. Es war nicht ihr erstes Treffen seit der Show. Eines Abends, als Carrie nach Hause kam, hatte Dayna auf den Stufen vor der Haustür gesessen. Zuerst war sie erschrocken und wütend, aber sie bat das Mädchen dennoch herein, und sie redeten miteinander. Carrie brachte Dayna über den Fortgang des Gerichtsverfahrens auf den neuesten Stand. Sie erzählte ihr, für wann die Verhandlung angesetzt war, dass Lanes Antrag auf Kaution abgelehnt worden war und dass er aufgrund seines Geständnisses wahrscheinlich eine milde Strafe bekommen werde. Dayna starrte die ganze Zeit über auf ihre Füße. Carrie sah ihr an, dass etwas sie beschäftigte, doch das Mädchen wollte nicht mit der Sprache herausrücken.
»Weißt du, ich nehme es dir nicht übel, dass du gelogen hast«, sagte Carrie schließlich. »Du bist mutig, auch wenn es dumm von dir war, dich selbst bestrafen zu wollen. Max hätte mehr Freunde wie dich brauchen können.« Carrie war zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Sinn hatte, ihr wegen ihres falschen Geständnisses Vorwürfe zu machen. Schließlich hatte ihr schlechtes Gewissen Max gegenüber sie dazu gebracht. Überdies trug sie Max’ Kind aus, und deswegen wollte Carrie den Kontakt zu ihr nicht abreißen lassen. Außerdem war der Täter ja nun gefasst und der Gerechtigkeit damit Genüge getan. Ihr Sohn war das Opfer einer willkürlichen Gewalttat geworden, eine weitere Zahl in der Statistik. Diese Tatsache bereitete ihr noch viele schlaflose Nächte, doch sie hoffte, dass sie eines Tages lernen würde, damit zu leben.
»Willst du mir immer noch bei dem Check-Point-Projekt helfen?«, fragte Carrie nun. Sie plante, in den schlimmsten sozialen Brennpunkten Londons Jugendzentren einzurichten, von denen jedes an das Opfer einer Messerstecherei erinnern sollte. Das erste sollte nach Max benannt werden.
»Natürlich. Nächste Woche habe ich erst mal meine Prüfungen. Ich weiß nicht, wie sie ausfallen werden, nach allem, was passiert ist, aber ich will es wenigstens versuchen. Und wenn das Baby dann auf der Welt ist, kann ich dir helfen. Du wirst jemanden brauchen, der weiß, was die Kids wollen.« Dayna grinste und rutschte auf ihrem Sessel hin und her.
»Sackhüpfen und Tischtennis können Sie vergessen«, hatte Carrie ihren Sponsoren bei der Präsentation erklärt. »Die Check-Point-Zentren sollen zur Erziehung der Straßenkinder und gewalttätigen Jugendlichen beitragen, aber nach außen hin sollen sie cool wirken. Wir wollen den jungen Leuten Computer bieten, ein Café, Musik, Skateparks, Beratung und, wenn nötig, ein Bett zum Schlafen.« Das Projekt stand noch ganz am Anfang, aber Carrie war fest entschlossen, es durchzuziehen.
Leah gefiel die Idee, in der wöchentlichen Sendung von Reality Check über die Zentren zu berichten. Wenn die Zuschauer die Fortschritte der benachteiligten Jugendlichen verfolgen konnten, würde das bestimmt etwas bewirken. Und für Carrie war es überlebenswichtig, dass sie etwas bewirkte.
»Wo du gerade hier bist, kann ich dir auch gleich die neue Adresse von Max’ Vater geben. Er ist letzte Woche umgezogen und würde sich bestimmt freuen, von dir zu hören.«
»Ja, klar.« Dayna hatte deutlich gemacht, dass sie mit beiden in Verbindung bleiben wollte, besonders wenn das Kind erst auf der Welt war. Sie wussten nicht, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen erwartete, und es war ihnen auch gleichgültig. Es war ein Teil von Max, und nur darauf kam es an. Dayna plante, noch eine Zeitlang zu Hause bei ihrer Mutter und Kev zu wohnen. Die beiden hatten anfangs unwillig reagiert, sich aber schließlich mit der Situation abgefunden. So etwas war keine Seltenheit in ihrer Siedlung. Und Carrie würde dafür sorgen, dass es Dayna und dem Baby an nichts fehlte.
»Das wurde aber auch Zeit, wie?« Carrie meinte Brodys Umzug, doch Dayna war noch immer damit beschäftigt, eine bequeme Haltung zu finden. »Er wohnt jetzt etwas außerhalb, nicht weit von der Uni. Fiona hat ihn zu einem anständigen Haus überredet, direkt an einem Park. Unter uns gesagt, ich glaube, zwischen den beiden
Weitere Kostenlose Bücher