Der fremde Sohn (German Edition)
Bevölkerung bekamen. Und Ergebnisse konnten sie wahrlich gebrauchen, dachte er missmutig.
Dennis verließ Daynas Zimmer und eilte die Treppe hinunter. Mrs Ray antwortete nicht, als er ihr einen Abschiedsgruß zurief und hinzufügte, er käme später wieder. Dann müsse Dayna mit aufs Kommissariat kommen, um ihre Aussage zu machen. An der Haustür blieb er noch einmal stehen und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch dann verließ er schweigend das Haus. Es hätte wenig Sinn gehabt, dieser Frau zu erklären, dass ihre Tochter ein wenig mütterlichen Trost nötig hatte.
Vergangenheit
S chreiben Sie keinen Scheiß über mich«, waren Dr. Quinells erste Worte an sie. Er mochte keine Journalisten und noch viel weniger die blöde Fotografin, die ihn umkreiste und dabei ständig auf den Auslöser drückte. Er wedelte mit der Hand. »Lassen Sie das.«
»Ich schreibe nur Scheiß, wenn Sie mir Scheiß erzählen.«
»Alle Journalisten schreiben Scheiß«, entgegnete er mit einem schiefen Grinsen.
»Ich bin nicht ›alle Journalisten‹.«
Ehe sie ein weiteres Wort notieren konnte, riss er ihr den Block aus der Hand. »Was ist das?«, fragte er und drehte den Block hin und her. »Das kann ich nicht lesen. Es ist Ste–«
»Steno.« Sie langte nach dem Block, doch Quinell versteckte ihn hinter seinem Rücken. Man hörte ein Ritsch , dann wurde Papier zusammengeknüllt. »He! Was zum …« Sie griff hinter seinem Rücken nach dem Block, doch er drehte sich weg. »Hören Sie auf! Das ist mein Notizblock!«
»Lauter Scheiß, wie ich schon sagte.«
»Ich muss später die Story schreiben, und Sie haben kein Recht –«
»Ihr Pech. Gehen Sie heute Abend mit mir essen, dann erzähle ich Ihnen eine Story, die es wirklich wert ist, gedruckt zu werden.«
»Nein, ich –«
»Na gut, dann sage ich Ihrem Redakteur eben, dass Sie keine Lust hatten, eine Reportage über einen der bahnbrechenden Erfolge in der Regressionsanalyse seit Legendre und seinen kleinsten Quadraten zu schreiben.« Quinell knüllte das Blatt zusammen und warf es zwischen seinen großen Händen hin und her.
Die Frau erkannte, dass ihre Notizen so gut wie verloren waren. Wahrscheinlich, dachte er, hatte sie nichts von dem behalten, was er ihr gerade erzählt hatte. Für einen mathematischen Laien war das alles Kauderwelsch.
»Meine Mutter hat immer gesagt, ich soll nicht mit Fremden mitgehen. Darunter fällt wahrscheinlich auch ein Abendessen mit Ihnen«, erwiderte sie.
»Und meine Mama hat immer gesagt, ich soll nicht mit weißen Mädchen ausgehen. Aber ich habe es trotzdem immer wieder versucht. Ich finde, Sie sollten Ihrer Mutter sagen –«
»Das wird schwierig. Sie ist seit zwei Jahren tot.«
»Das tut mir leid.« Dr. Brody Quinells Haltung änderte sich schlagartig. Sein Gesicht wurde ernst, und er streckte die Hand nach ihrer Schulter aus, ohne sie jedoch zu berühren. Er sah, wie ihre Züge weich wurden.
»Danke. Trotzdem hätten Sie mir meine Notizen nicht wegnehmen sollen.«
Er hörte auf, mit dem Papierball zu spielen, und stieß einen Laut aus, der mehr ein Brüllen als ein Lachen war. »Aber Sie haben geschrieben –«
»Stopp!«, sagte sie und sah sich nach ihrer Fotografin um. Dabei klemmte sie den Bleistift zwischen die Zähne. Brody erkannte, dass er auf dem besten Weg war, dieses Wortgefecht zu gewinnen.
»Wie heißen Sie?«, fragte er. Er schätzte sie auf dreiundzwanzig oder vierundzwanzig.
Sie schluckte und sagte leise: »Caroline Kent.«
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Miss Kent.«
Und dann riss Dr. Brody Quinell – das aufstrebende Talent auf dem Gebiet der Statistischen Forschung – den Mund auf, stopfte das zerknüllte Papier hinein und kaute mit vollen Backen. »Hm, schmeckt aber gut, der Scheiß«, brachte er hervor. »Ich glaube, jetzt bin ich so voll, dass ich heute Abend gar nichts mehr zu essen brauche.«
Carrie Kent war Starreporterin mit einem Job, für den sich – wie ihr Chef immer betonte – viele junge Uni-Absolventinnen einen Finger abgehackt hätten. Sie beschloss, es bei Dr. Brody Quinell mit einer Tonbandaufnahme zu probieren. Ihr war klar, dass es Pech gewesen war, ausgerechnet diese Story zugeteilt zu bekommen, doch die Arbeit in der Wissenschaftsredaktion war nun einmal Teil ihrer Ausbildung in dem riesigen Medienkonzern, und sie war entschlossen, sich zu bewähren.
Das Aufnahmegerät steckte in ihrem kleinen Abendtäschchen. Sie nahm die Serviette auf und legte die Tasche, mit der
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