Der fremde Sohn (German Edition)
Masters an. »Ist Ihre Tochter zu Hause? Ich würde gern mit ihr sprechen.«
Ohne zu zögern nickte Mrs Ray und trat beiseite, um ihn einzulassen. Dann schlug sie die Tür zu. »Verdammt, was hat sie jetzt schon wieder angestellt?« Sie drehte sich zur Treppe um. »Day-na!«, brüllte sie lauter, als man es von einer so kleinen Person erwartet hätte. »Dieses dumme Mädchen. Hat behauptet, sie musste nach Hause kommen, weil ihr nicht gut war. Gehen Sie nur rauf. Die rechte Tür.« Mrs Ray ging in die Küche, wo ein Hund sie freudig begrüßte.
Der kleine Treppenabsatz war übersät mit Kleidungsstücken und diversen anderen Dingen, darunter auch Spielzeug, was darauf schließen ließ, dass es im Haus noch ein wesentlich jüngeres Kind gab. Dennis stieg über den ganzen Kram hinweg und klopfte an Daynas Tür. Als er die Sticker und Zeitschriftenausschnitte sah, die an der Tür mit der abblätternden Farbe klebten, hoffte er nur, dass das kleinere Kind noch nicht lesen konnte.
»Was ist?«, ertönte endlich eine Mädchenstimme.
Dennis beugte sich zu der Tür vor. »Deine Mutter hat mich raufgeschickt, Dayna. Mein Name ist Dennis Masters. Ich bin Detective. Du hast nichts zu befürchten, ich möchte nur mit dir über das reden, was heute in der Schule passiert ist.« Stille. »Ist das okay?« Nichts. »Dayna, ich brauche wirklich dringend deine Hilfe. Damit wir denjenigen kriegen, der Max Quinell umgebracht hat.«
Nach einigen Sekunden öffnete sich langsam die Tür. Im dunklen Türspalt stand ein schlankes Mädchen mit aschfahlem Gesicht und leicht geöffneten Lippen. In ihren Augen stand nackte Angst. »Max ist tot?« Ihre Worte waren kaum zu hören. Als würde alles erst wahr, wenn sie es zu laut aussprach.
»Ja. Es tut mir leid.« Dennis schwieg einen Moment lang. Er hatte angenommen, dass sie es schon wusste.
Das Mädchen weinte nicht, sondern schluckte nur und starrte an die Wand hinter ihm. Dann riss sie die Tür weit auf, ging zurück in das halbdunkle Zimmer und rollte sich auf dem zerwühlten Bett zusammen. Dennis folgte ihr. Er hob einen Stapel Kleider von einem hölzernen Hocker und setzte sich.
»Ich weiß, das ist schlimm für dich, aber ich habe gehofft, du könntest mir erzählen, was geschehen ist, solange deine Erinnerung daran noch frisch ist.«
Dayna hob den Kopf und schaute sich mit verlorenem Blick um. »Aber ich habe ihn doch geliebt.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.
Dennis spürte, dass sie diese Worte noch nie gesagt hatte. Doch nun, mit ihren etwa fünfzehn Jahren, hatte sie angesichts des Verlusts den Mut dazu gefunden. Nur dass es jetzt zu spät war.
»Ich bin sicher, Max hat das gewusst.«
»Nein, hat er nicht.« Sie warf Dennis aus dem Augenwinkel einen Blick zu.
»Warst du seine Freundin?« Hier musste er behutsam vorgehen. Am liebsten hätte er Notizblock und Stift unauffällig wieder eingesteckt, doch als er bemerkte, dass sie auf seine Hände sah, ließ er den Block auf seinem Knie ruhen.
»Ja, irgendwie schon.« Plötzlich schimmerten Tränen in Daynas Augen. »Sind Sie sicher, dass er tot ist? Der … der Rettungswagen ist doch gekommen.« Sie wischte sich die Augen mit dem Ärmel ab. »Die sollten ihm doch helfen.«
»Ja, sicher.« Dennis seufzte. Solange diese verdammten Vorhänge zugezogen waren, konnte er kaum etwas erkennen. »Ich möchte dich zunächst fragen, ob du weißt, wer Max das angetan hat. Wer hat ihn erstochen? Wer hielt das Messer in der Hand?«
Dayna schaute den Detective an. Ihr Gesicht verzog sich zu einer Maske des Schmerzes. »Nein«, flüsterte sie. »Nein, ich habe es nicht gesehen.« Sie sackte in sich zusammen und begann bitterlich zu weinen, das Gesicht in der Steppdecke vergraben. Ihre Finger kneteten die Füllung. Immer tiefer, immer verzweifelter bohrte sie den Kopf in die weiche Decke. Dennis Masters saß da, sah sie an und wartete, bis sie wieder in der Lage war zu sprechen.
Schließlich richtete sie sich auf. »Es ging alles so schnell. Gerade noch war alles ganz normal, und dann …« Sie blinzelte, als die Erinnerung wieder auf sie einstürzte. »Und dann war auf einmal alles voller Blut.« Dayna schlang die dünnen Arme um ihren Leib, als wolle sie sich selbst umarmen. Wahrscheinlich tat es sonst niemand, vermutete Dennis.
»Sind das …« Dennis blickte auf eine blutverschmierte Plastiktüte auf dem Boden.
»Meine schmutzigen Sachen. Sie sind voller Blut«, erwiderte Dayna und errötete.
»Ich werde sie mitnehmen
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