Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der fremde Sohn (German Edition)

Der fremde Sohn (German Edition)

Titel: Der fremde Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
Vom Netzwerk:
müssen.«
    Dayna nickte.
    Er hörte die Frau unten herumbrüllen und dann das empörte Geheul eines kleinen Kindes.
    »Dein kleiner Bruder?«, fragte er.
    Dayna zeigte die Andeutung eines Lächelns. »Schwester. Na ja, Halbschwester. Kev ist nicht mein Vater.«
    »Wo ist Kev jetzt?«
    Dayna zuckte mit den Schultern. »Kneipe, jemanden besuchen, Buchmacher oder Job Center, wenn Mum diese Woche Glück hat.«
    Plötzlich fühlte sich Dennis wie eine männliche Ausgabe von Carrie Kent, wie er hier saß und in einem der trübseligen Leben herumstocherte, von denen die meisten Menschen lieber nichts wissen wollten. Leben voller Leid, Armut, Vernachlässigung, Misshandlung. Es nahm kein Ende. Er sah es tagtäglich.
    Dennis besann sich wieder auf seine unmittelbare Aufgabe. »Glaubst du, es war jemand aus deiner Schule?«
    Dayna zuckte die Achseln.
    »Groß? Klein? Weiß? Schwarz? Asiate? Wie war er gekleidet? Du musst mir doch irgendetwas erzählen können. Schließlich warst du dabei, oder?«
    Dayna begann zu zittern und griff mit ihren leuchtend blau lackierten Fingernägeln nach der Bettdecke. Verwirrung und Zorn schimmerten in ihren Augen. »Lassen Sie mich in Ruhe! Ich hab sie nicht gesehen.«
    »Jede kleinste Information über Max’ Mörder wäre enorm hilfreich für uns, Dayna. Erinnere dich an heute Morgen. Wann hast du dich mit Max getroffen? Was habt ihr gemacht?«
    Immer wieder schüttelte Dayna den Kopf. Sie war offensichtlich traumatisiert. Die Opferhilfe würde sich wohl bald ihrer annehmen, aber vielleicht brauchte sie jetzt sofort Unterstützung. Es schien, als sei ihr Kopf wie vernagelt, ein Phänomen, das Dennis schon bei vielen jugendlichen Zeugen beobachtet hatte. Entweder erzählten sie endlose Lügengeschichten, oder sie zogen sich in sich selbst zurück wie Dayna, weil sie das Gefühl hatten, es sei alles ihre Schuld und sie hätten es verhindern können.
    »Wir haben blaugemacht. Ich hab auf die Englischstunde gewartet. Ich hatte mir Pommes gekauft.« Sie leckte sich die Lippen, als sei der Geschmack noch da.
    »Weiter.« Vielleicht erinnerte sie sich ja doch noch an etwas.
    »Und dann …« Dayna stand auf, trat ans Fenster und zog so plötzlich die Vorhänge auf, dass Dennis blinzeln musste. »Und dann waren sie plötzlich da. Haben sich über ihn lustig gemacht. Ihn bedroht.« Sie drehte sich um. »Man sollte nicht so sterben – während man die Schule schwänzt und Pommes isst.«
    Dennis stieß einen tiefen Seufzer aus. »Wie hast du das gemeint, du hast auf die Englischstunde gewartet?«
    »Es ist das einzige Fach, das ich mag. Max mag es auch – mochte es.«
    »Ich sehe, du liest viel.« In Daynas Zimmer gab es vermutlich mehr Bücher als normalerweise bei einem Teenager – auch wenn er nicht mehr viel über Teenager wusste, seit Kaye ihn mit Estelle verlassen hatte. Er versuchte, nicht mehr daran zu denken, doch er wurde jedes Mal schmerzhaft daran erinnert, wenn er mit jungen Mädchen zu tun hatte.
    Dayna nickte. »Wir haben uns gegenseitig vorgelesen.« In dem düsteren Zimmer hob sich ihre Silhouette gegen das helle Licht der Frühlingssonne ab, die durch die Wolken gebrochen war. »Shakespeare und so.«
    »Weißt du, ob Max irgendwelche Feinde hatte?«
    Das Mädchen schluckte mehrmals. Wieder schienen die schrecklichen Erinnerungen wach zu werden, und Dayna verzog das Gesicht vor Schmerz. Sie ging zum Bett und ließ sich darauf fallen. »Ich weiß nicht. Verdammt, ich weiß überhaupt nichts mehr!« Sie hob den Kopf. »Doch, eins weiß ich. Ich gehe nie wieder zur Schule.«
    Sie vergrub das Gesicht in der Decke und reagierte auch nicht, als der Detective ihr behutsam eine Hand zwischen die Schulterblätter legte. Er beschloss, ihr noch ein bis zwei Stunden zum Trauern zu lassen, Zeit, um sich ein wenig zu fassen, bevor er sie richtig in die Mangel nahm. In der Zwischenzeit wollte er sich darüber informieren, was Jess und die anderen herausgefunden hatten.
    Und Carrie oder Leah wollte er auch anrufen. Es wäre unglaublich hilfreich, wenn sie kurzfristig eine Sondershow ins Programm aufnehmen könnten, dachte er und überlegte, was man noch tun konnte, um das Interesse der Zuschauer zu wecken. Vielleicht einen allgemeinen Überblick über die Problematik von Messerstechereien und danach eine Rekonstruktion des Quinell-Falls. Er brauchte unbedingt Antworten, und zwar schnell. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass sie umso bessere Ergebnisse erzielten, je eher sie Hinweise aus der

Weitere Kostenlose Bücher