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Der fremde Sohn (German Edition)

Der fremde Sohn (German Edition)

Titel: Der fremde Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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Männern, die in dem kleinen Wohnzimmer saßen, hin und her.
    »Was meinen Sie wohl, wie es mir geht? Mein bester Freund ist tot.«
    Sie ließ sich auf dem grünen Velourssofa nieder, das schon seit einer Ewigkeit dort stand. Lorrell hatte darauf gepinkelt, gekotzt und Milch verschüttet. Sie hatten darauf gegessen, und ihre Mutter und Kev hatten wie verrückt darauf rumgebumst. Wahrscheinlich, kam es Dayna in den Sinn, war hier sogar Lorrell gezeugt worden.
    »Ich möchte, dass du mir jede Kleinigkeit berichtest, die du über Max weißt, Dayna. Aber zuerst müssen wir über das sprechen, was in der Schule geschehen ist. Wir dürfen auf keinen Fall noch mehr Zeit verlieren.«
    Wie konnte ein einziger Aprilmorgen die ganze Welt auf den Kopf stellen?
    Dayna stand auf, trat ans Fenster und starrte durch die schmutzige Scheibe, die von ihrem Atem beschlug. Draußen war alles grau und regnerisch. Das Ganze war einfach verrückt. Mehr als verrückt.
    »Wie heißen Sie noch mal?« Dayna schluckte. In ihrem Schockzustand hatte sie seinen Namen vergessen.
    »Du kannst mich Dennis nennen.«
    Dennis, die Nervensäge, dachte sie. Max hätte ihn nicht gemocht.
    »Und das ist Detective Inspector Marsh.«
    Schweigen.
    »Wann bist du heute Morgen aufgestanden, Dayna?«
    »Gegen sieben, wie immer. Dann hat Lorrell Hunger.« Sie ließ sich wieder auf das Sofa fallen und stützte das Kinn in die Hand. Ihr tat das ganze Gesicht weh vom Weinen.
    »Und bist du dann zur selben Zeit wie immer in die Schule gegangen?«
    »Ja. Nachdem ich Lorrell versorgt hatte.« Ihr entfuhr ein Schluchzen, das wie ein Schluckauf klang.
    »Hast du Max gleich morgens in der Schule getroffen?«
    Dayna überlegte. Sie blickte an die Decke. »Nein, ich glaube nicht.«
    »Es ist wichtig.«
    »Vielleicht doch. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Darf ich ihn sehen?«
    Dennis wechselte einen Blick mit seinem Kollegen. »Vielleicht wartest du damit lieber bis zur Beerdigung«, sagte Marsh mit heiserer Stimme. »Es müssen noch ein paar Untersuchungen durchgeführt werden.«
    »Eine Autopsie?« Davon hatte sie schon gelesen.
    Beide Detectives nickten.
    »Also, wann hast du Max heute zum ersten Mal gesehen?«
    Dayna sog scharf den Atem ein. Die Frage überrumpelte sie. »Äh, er war …« Sie fingerte an ihren Nägeln herum. »Er war in der Mathestunde, glaube ich. Ja, in Mathe habe ich ihn gesehen.«
    »Und was hattet ihr nach Mathe?«
    »Erdkunde, und dann Physik. Beides hat Max geschwänzt. Ich war nur in Erdkunde, dann bin ich weggegangen. Nach Physik kam die Pause.«
    »Bist du Max suchen gegangen?«
    Dayna zuckte die Achseln.
    »Es ist wichtig, Dayna.«
    »Vielleicht. Ich weiß nicht. Was soll das überhaupt? Er ist tot, Punkt.« Sie wusste, sie würde es noch tausendmal sagen müssen, bevor sie es wirklich begriff. Und dann würde die Welt eine andere sein.
    »Ich frage dich noch einmal: Als du aus der Erdkundestunde kamst, hast du da nach Max gesucht?«
    »Ja, ich glaub schon.«
    »Und hast du ihn gefunden?«
    »Nicht gleich.« Wieder stand Dayna auf. Sie konnte einfach nicht länger stillsitzen. Sie ging zum Fenster, stützte die Hände auf die Fensterbank und schaute hinaus in den Vorgarten. Sie hatte dort aufgeräumt, nachdem Lorrell in die Glasscherbe getreten war. »Ich habe mir Pommes gekauft. Ich hatte Hunger.«
    »Um wie viel Uhr hast du ihn getroffen? Es ist wichtig, Dayna.«
    »So gegen Viertel nach zehn, halb elf.«
    »Aber die Erdkundestunde dauert bis Viertel vor elf. Du sagtest doch, du warst im Unterricht.«
    Dayna schloss die Augen. In der Schwärze hinter ihren Lidern, dem sichersten Ort, den sie kannte, sah sie Max’ Gesicht. Er grinste sie mit seinem typischen Ausdruck an, und sein Körper führte einen Freudentanz auf, wie er es immer tat, wenn er etwas gewonnen hatte. Diesen Schlenkertanz, bei dem seine Beine aussahen, als seien sie drei Meter lang. Sein Körper, durchfuhr es sie, sie riss die Augen auf und hielt sich am Fensterbrett fest.
    Und dann, in der plötzlichen Helligkeit, sah Dayna, wie das Blut aus Max’ zerstochener Brust strömte. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, als er zusammenbrach, hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingegraben. Sie hörte wieder das Gejohle der davonrennenden Jungs, spürte von neuem, wie die Panik in ihr aufstieg, als sie versuchte, Max zu helfen, vernahm noch einmal die Sirene des Rettungswagens.
    An das, was danach kam, hatte sie keine klare Erinnerung mehr. Sie hörte wieder das Trommeln

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