Der fremde Sohn (German Edition)
Gasse, die zur Bahntrasse führte. Als Max sie mit zusammengekniffenen Augen musterte, erkannte er einen von ihnen. Er trug einen Bürstenhaarschnitt und tauchte nur manchmal in der Schule auf. Als sie sich plötzlich in einer Reihe aufbauten und auf ihn zukamen, wusste Max, dass sie ihn gesehen hatten. Scheiße.
Max blickte sich um. Rechts von ihm war ein Laden. Er trat auf die Straße, wobei er durch den großen Karton nicht viel sehen konnte.
»He!«, brüllte einer von der Bande.
Im Rhythmus seines Herzschlags hämmerten ihre Turnschuhe auf den Asphalt.
»He, du Wichser.« Er hatte die Straße halb überquert, da legte sich eine Hand auf seine Schulter. »Was hast du da?«
Die vier Jungs, alle ungefähr in seinem Alter, hatten ihn eingekreist und zwangen ihn, mit ihnen zurück zu dem schmalen Gässchen zu gehen, das an einer Seite durch die Hinterhöfe der Sozialwohnungen begrenzt wurde. Eine chaotische Folge von Eisengittern mit Stacheldrahtspiralen obendrauf, eingetretenen Lattenzäunen, Holzpaletten, Gerümpel und Autowracks markierte die jeweiligen Grenzen der tristen Grundstücke.
Das alles nahm Max wahr, während sie ihn drängten, den Weg entlangzugehen. Bisher waren ihm die Häuser nie aufgefallen, er war immer nur zu seiner Bude gerannt, begierig, einer Welt zu entfliehen, die ihn nicht verstand. Doch nun, eingekeilt zwischen vier Schlägertypen, die nach Schnaps stanken und ihm eine Heidenangst einjagten, lief alles wie in Zeitlupe ab. Er wusste, er würde jeden Tritt, jeden Schlag, jedes grausame Wort spüren.
»Was ist das, verdammt?« Der Junge hatte sich die Kapuze über den Kopf gezogen, seine schmalen Schultern waren gebeugt. Seine ganze Haltung hatte etwas Aggressives und verhinderte zugleich, dass sein Gesicht von den zahlreichen Kameras aufgenommen wurde, die seine Streifzüge im Viertel bereits registriert hatten.
»Nur ein Karton.« Max versagte die Stimme.
Die vier lachten. Marke und Logo des Computers waren auf allen vier Seiten aufgedruckt.
»Ich bepiss mich, Mann.«
Plötzlich ein Tritt in den Rücken. Der Schmerz fuhr durch seine Nieren bis hinunter in die Lenden. Er krümmte sich, und der Karton glitt ihm aus den Händen und fiel auf den Boden. Max versuchte, mit dem Fuß den Aufprall zu dämpfen. Es war doch ein Geschenk für Dayna.
Sie nahmen ihm den Karton weg und versetzten ihm noch ein paar Tritte und Faustschläge, dann rissen sie die Verpackung auf.
»Lasst das, das gehört mir!« Max richtete sich auf und versuchte, den Schmerz auszublenden. »Hört gefälligst auf!«
Ohne ihn zu beachten, zerrten sie das Styropor heraus und machten große Augen, als der schicke neue Rechner zum Vorschein kam. Die Beutel mit Kabeln, Bedienungsanleitungen und CD s fielen in den Dreck, und Max roch das neue Plastik. Der Flachbildschirm rutschte aus seiner Verpackung und fiel zurück in den Karton.
»Pack ihn wieder ein und lass uns abhauen«, grunzte einer. Ihnen allen war klar: Der ließ sich im Pub bestimmt in Stoff umsetzen. Zwei von ihnen hoben den überquellenden Karton hoch, während ein anderer Max noch einen letzten Tritt versetzte und ihm auf die Jacke spuckte. »Bekloppter Wichser …« Dann zogen sie mit ihrer Beute ab, trotz der schweren Last um ihren gewohnt lässigen Gang bemüht.
Max sah ihnen nach. Sein ganzer Körper schmerzte, und was sich in seinem Kopf abspielte, war noch schlimmer. Wie sollte er ihr das erklären? Was sollte er ihr jetzt schenken? Max begann zu zittern. Seine Finger juckten und brannten. Wut wallte in ihm auf, Scham, Frust und das Bewusstsein, wie unausweichlich das alles war. Er konnte nur noch rennen und immer weiter rennen. Staub wirbelte unter seinen Füßen auf, er stolperte, und als er unter dem Stacheldraht hindurchkroch, mit dem das Bahngelände umzäunt war, zerriss er sich die Kleider. Vor Schmerz ganz wirr im Kopf, erreichte er endlich seine Bude. Seine Finger zerrten fieberhaft an dem Schloss, dann stürzte er hinein und sperrte die Tür hinter sich zu.
Max ließ sich auf den Autositz fallen und weinte. Er hasste sich selbst. Wenn sie kam, würde er nicht aufmachen. Er hatte ihr eine Überraschung versprochen, und nun musste er sie enttäuschen. Das Einzige, was ihm übrigblieb, war, so zu tun, als ob er nicht da wäre.
Dayna verstand das nicht. Das Vorhängeschloss hing offen außen am Riegel, doch die Tür schien von innen verschlossen zu sein. Sie gab nicht einmal nach, als Dayna mit der Schuhspitze dagegendrückte. Sie hatte
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