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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Land machen.«
    »Vielleicht bist du nur verbittert. Wenn ich mich recht erinnere, wurde deine Hafteinweisung vom Hauptquartier des Büros unterzeichnet. Qin hat es angeordnet, aber das Büro hat es durchgeführt.«
    »Vielleicht«, räumte Shan ein. »Aber dennoch hat Leutnant Chang versucht, uns zu ermorden. Und Chang hat vermutlich für den Major gearbeitet.«
    Tan schüttelte zweifelnd den Kopf. »Chang ist tot, und du hast nach wie vor eine Aufgabe zu erledigen.« Er stand auf, als wolle er gehen.
    »Haben Sie je von dem Lotusbuch gehört?« fragte Shan. Tan blieb an der Tür stehen. »Das ist ein Buch der Buddhisten.«
    »Den Luxus religiöser Studien kann ich mir leider nicht erlauben«, erwiderte Tan ungeduldig.
    »Es handelt sich eher um ein Verzeichnis«, sagte Shan. »Die Aufzeichnungen haben vor ungefähr zwanzig Jahren begonnen. Ein Namensverzeichnis. Mit Orten und...«, er suchte nach einem passenden Begriff, »... Ereignissen.«
    »Ereignissen?«
    »In einem Abschnitt werden fast ausschließlich Han-Chinesen aufgeführt. Zu jedem Namen gibt es eine Beschreibung. Von seiner oder ihrer Rolle bei der Zerstörung eines Klosters, Von der Teilnahme an Exekutionen. Oder an der Plünderung von Schreinen. Vergewaltigungen. Morde. Folter. Die Schilderungen sind sehr anschaulich. Das Buch wird weitergereicht, um neue Einträge ergänzt und aktualisiert. Es gilt inzwischen als eine Art Auszeichnung, zu der Liste der Autoren zu gehören.«
    Tan war erstarrt. »Unmöglich!« rief er wütend. »Das wäre ein Akt gegen den Staat. Verrat.«
    »Ankläger Jao stand auch in dem Buch. Unter seiner Leitung wurden die fünf größten gompas im Bezirk Lhadrung zerstört. Dreihundertzwanzig Mönche sind verschwunden. Weitere zweihundert wurden in Gefängnisse abtransportiert.«
    Tan ließ sich auf einen Stuhl gleiten. Er war auf einmal wieder ganz bei der Sache. »Aber das wäre der Beweis. Der Beweis, daß die Radikalen es auf Jao abgesehen hatten.«
    »Lin Ziang vom Büro für Religiöse Angelegenheiten wurde ebenfalls erwähnt«, fuhr Shan fort. »Auf seinen Befehl wurden fünfundzwanzig Klöster und Chorten in Westtibet zerstört. Er hat Antiquitäten im Wert von geschätzten zehn Millionen Dollar nach Peking schaffen lassen, wo sie eingeschmolzen wurden, um das Gold abzuschöpfen. Von ihm stammte die Idee, Nonnen in die Kasernen zu schaffen, damit die Soldaten sich mit ihnen vergnügen konnten. Xong De vom Ministerium für Geologie stand auch drin. Als er jünger war, hat er ein Gefängnis geleitet. Er hatte eine Vorliebe für Daumen.«
    »Ich will das Buch!« brüllte Tan. »Und ich will diejenigen, die es geschrieben haben.«
    »Es existiert nicht nur in einem Band. Es wird weitergegeben. Man erstellt per Hand Kopien. Es befindet sich überall im Land. Und sogar im Ausland.«
    »Ich will diejenigen, die es geschrieben haben«, wiederholte Tan etwas ruhiger. »Was drinsteht, ist unerheblich. Das ist bloß Geschichte. Aber die Tatsache, daß jemand es aufschreibt...«
    »Ich dachte eigentlich«, unterbrach Shan ihn, »daß bereits diese eine Untersuchung mehr ist, als wir bewältigen können.«
    Tan zog eine Zigarette aus der Schachtel und klopfte mit ihr nervös auf den Tisch, als müsse er Shan notgedrungen recht geben.
    »Im sechzehnten Jahrhundert wurden von den heidnischen Armeen im Kampf gegen den Buddhismus zahlreiche Greueltaten begangen«, fuhr Shan fort. »Ich kenne Häftlinge in der 404ten, die auch heute noch in allen Einzelheiten davon berichten können, als wäre es erst gestern geschehen. Auf diese Weise wird denen Ehre erwiesen, die leiden mußten. Und die Schande der Täter gerät ebenfalls nicht in Vergessenheit.«
    Tans Wut verflüchtigte sich. Er hatte nicht genug Kraft, um mehr als einen Kampf zur gleichen Zeit auszufechten, vermutete Shan.
    »Hier ist dein Beweis, daß die Morde miteinander in Verbindung gestanden haben«, stellte der Oberst fest.
    »Ich habe daran keinerlei Zweifel.«
    »Aber es stützt doch nur meine Ansicht über die zersetzende Kraft der gesellschaftsfeindlichen Bestrebungen der Minderheiten.«
    »Nein. Die purbas wollten, daß ich von dem Buch erfuhr, um sich selbst zu schützen.«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Die purbas wollen ebenfalls, daß wir die Morde aufklären. Sie haben erkannt, daß die Öffentliche Sicherheit sie vernichten würde, falls man dort von dem Buch erführe und auf den Gedanken käme, es mit den Morden in Verbindung zu bringen. Einer der Fünf von

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