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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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schwache Duft von Pfingstrosen über den Hof.
    Der Major verschwand hinter einem großen Tor. Li führte Shan in den Vorraum der Versammlungshalle, schaltete eine Glühbirne ein und wies auf einen groben Holztisch, um den herum einige Stühle standen. Shan schaute auf die Verkabelung, die erst kürzlich installiert worden war. Nur wenige der entlegenen Klöster wurden an die Elektrizitätsversorgung angeschlossen.
    Li vollführte eine weit ausholende Geste, die den ganzen Raum umfaßte. »Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, um es zu erhalten«, sagte er mit gekünstelter Demut. »Wissen Sie, das ist jedesmal wieder viel Arbeit.«
    Der Boden bestand noch aus den ursprünglichen Holzbohlen, wie man sie Jahrhunderte zuvor von Hand zurechtgeschnitten hatte. Er war von Brandstellen übersät, die von Zigaretten stammten.
    »Hier sind ja gar keine Mönche.«
    »Die kommen noch.« Li durchschritt den Raum und wirkte dabei wie ein Eigentümer, der seinen Grundbesitz inspizierte. Entlang der Innenwand waren Haken angebracht, auf die man Priestergewänder gehängt hatte, um den Anschein eines bewohnten gompa zu schaffen. »Direktor Wen kümmert sich um alles. Ein Zwischenstop für die Touristen. Einige Neuinszenierungen. Sollen die Amerikaner ruhig ein paar Butterlampen anzünden und etwas Weihrauch verbrennen.«
    »Neuinszenierungen?«
    »Zeremonien. Wegen der Atmosphäre.« Li suchte sich eines der Gewänder aus, eine antike Zeremonienrobe mit goldenem Brokat und seidenen Einsatzstreifen, auf denen Wolken und Sterne abgebildet waren. Er legte sein Anzugjackett ab und zog sich die Robe über. Zufrieden strich er mit den Fingern über die Ärmel und fuhr fort. »Wir treffen die letzten Vorkehrungen. Es sind nur noch ein paar Tage, bis die Leute ankommen.« Er stolzierte wie ein eitler Gockel umher und versuchte, in den kleinen Fensterscheiben einen Blick auf sein Spiegelbild zu erhaschen »Für ein paar zusätzliche Dollar erlauben wir den Amerikanern, diese Gewänder anzuziehen und Gebetsmühlen zu drehen. Im Hintergrund gibt's dann Mantras vom Band. Und wer noch etwas mehr Geld ausgeben möchte, kann in einem einstündigen Kurs lernen, wie ein Buddhist zu meditieren.«
    »So eine Art buddhistischer Vergnügungspark.«
    »Ganz genau! Wir denken so oft das gleiche!« rief Li und wurde sofort wieder ernst. »Aus diesem Grund muß ich auch mit Ihnen sprechen, Genosse. Ich muß Ihnen ein Geständnis machen. Ich bin Ihnen gegenüber nicht völlig aufrichtig gewesen. Aber jetzt möchte ich, daß Sie etwas begreifen. Ich führe gleichzeitig noch eine andere Untersuchung durch, unabhängig von dem Mord an Ankläger Jao. Eine noch wichtigere Untersuchung. Sie haben ja gar keine Ahnung, welchen Schaden Sie anrichten könnten, falls Sie so weitermachen wie bisher. Sie machen es uns sehr schwer, das Richtige zu tun. Sie sind nicht in Ihrem Element. Sie werden benutzt.«
    »Ich bin verwirrt«, sagte Shan und musterte ein Regal mit wertlosem Plunder, vor dem ein Tisch stand. »Was genau meinen Sie denn mit >das Richtige    Li zog sich einen Hocker heran und setzte sich neben Shan. Daß dabei die Nähte des alten Gewands an den Schultern vernehmlich krachten, interessierte ihn nicht. »Tan kann sich alles mögliche erlauben. Das ist ein Privileg seiner Stellung. Aber Sie können das nicht. Sie sind ein Häftling, Sie waren ein Häftling, und Sie werden ein Häftling sein. Weder Sie noch ich können irgend etwas daran ändern.«
    »Stellvertretender Ankläger Li. Ich habe schon vor vielen Jahren jegliche Möglichkeit verloren, mir irgend etwas erlauben zu können.«
    Li lachte und zündete sich eine Zigarette an. »Kehren Sie zur 404ten zurück«, sagte er plötzlich.
    »Das liegt nicht in meiner Macht.«
    »Schließen Sie sich dem Streik an. Wir könnten zulassen, daß Sie ihn beenden. Sie wären ein großer Held, es gäbe einen lobenden Vermerk in der Akte, und womöglich hätten Sie zahlreiche Leben gerettet.«
    »Was genau bieten Sie mir an?«
    »Wir können die Truppen wieder abziehen.«
    »Soll das heißen, Sie pfeifen die Kriecher zurück, falls ich meine Ermittlungen einstelle?«
    Li ging zu dem Regal mit Keramik-Andenken. Er nahm einen der Buddhas und pustete in den Sockel. Der Figur stieg Rauch aus den Augen. »Es würde zahlreiche Probleme lösen.«
    »Sie haben den Grund dafür noch

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