Der fremde Tibeter
ihn?«
»Ein Dämon braucht viel Ruhe. Er muß beschützt werden, während er schläft. Wenn ich in der Lage war, ihn zu finden, dann könnte das auch anderen gelingen, habe ich befürchtet.«
»Wie lange geht das schon so?«
»Dieser Bastard Xong De. Der Direktor der Minen. Er hat sich geweigert, meinen Neffen in der amerikanischen Mine arbeiten zu lassen.«
»Luntok«, sagte Shan, der auf einmal den Zusammenhang begriff. »Luntok ist Ihr Neffe? Derjenige, der auf die Berge klettert?«
»Ja«, erwiderte Merak mit sichtlichem Stolz. »Wissen Sie, er wird den Chomolungma besteigen.«
»Aber wie hat er dann seine Stelle bekommen, nachdem man ihn abgelehnt hatte?«
»Xong ist gestorben. Es heißt, Tamdin habe es getan. Ich habe das auch geglaubt, denn danach wurden plötzlich Tibeter bei der Mine angestellt. Luntok hat auch schon bald die entsprechende Erlaubnis erhalten. Ich wollte Tamdin ein Dankopfer bringen, und ich wußte, daß er im Hochgebirge lebt. Also habe ich angefangen, nach ihm Ausschau zu halten. Dann, nachdem Luntok seine Hand gefunden hatte, wußte ich, wo ich suchen mußte. Ich kenne unsere Geier. Sie suchen sich ihre Beute ganz oben auf den Kämmen. Dieser Vogel hatte die Hand bei den Amerikanern fallen gelassen. Er hat bestimmt nicht lange gebraucht, um zu merken, daß dies keine gewöhnliche Nahrung für ihn war.«
»Was bedeutet, daß Tamdin sich in einer hochgelegenen Höhle in der Nähe der Amerikaner befinden mußte.«
Merak nickte energisch. »Zuerst hatte ich Angst, ich hätte ihn erzürnt. Ich habe seine goldene Haut berührt. Doch als ich seine Macht spürte und mir klar wurde, was ich getan hatte, bin ich weggelaufen.«
»Doch dann sind Sie mit beschwichtigenden Zaubersprüchen zurückgekehrt, und seitdem haben Sie ihm geholfen.«
»Er war schwer verletzt, das konnte ich sehen. Beim Kampf gegen den letzten Teufel hatte er seine Hand verloren. Er hat doch schon so viele Kämpfe durchgestanden. Ich habe die Hand zurückgebracht und auch die Zaubersprüche, aber ich wußte, daß er Ruhe braucht. Also habe ich Beschützer dort postiert, damit er ungefährdet von seinen Wunden genesen kann. Und seitdem habe ich stets Nahrung und Wasser gebracht.«
»Nahrung und Wasser?«
»Ich weiß um den Unterschied zwischen Dämonen und Kreaturen aus Fleisch und Blut.«
»Weshalb benötigen Sie Gebete, um sich vor ihnen zu schützen, wenn sie doch Ihr Eigentum sind.«
»Es sind nicht meine. Ich habe sie einem Hirten abgekauft, und jetzt gehören sie Tamdin.«
Shan sah ihn an und verspürte eine unbestimmte, aber immer stärker werdende Angst. »Wollen Sie mit mir kommen?«
Merak nahm den Leinensack und schüttelte heftig den Kopf. »Ich weiß, daß Sie dies tun müssen, Chinese. Die Leute sprechen oft darüber, daß Sie die Beschwörung durchgeführt haben. Es gibt für Sie kein Zurück.«
Merak deutete den Pfad hinunter und beschrieb Shan den versteckten Höhleneingang, der einen knappen Kilometer entfernt in einer kleinen Schlucht lag. Bevor er aufbrach, schüttelte er erneut den Kopf. »Ich möchte nicht dort sein, wenn ein Chinese versucht, die Höhle zu betreten. Sie sollten sich lieber wünschen, Sie könnten mit mir kommen. th habe Sie ganz gern gemocht.«
Als sie die Schlucht erreichten, wandte Shan sich zu seinen Gefährten um. »Sergeant«, sagte er und wies auf Jigme. »Sein Bein blutet wieder. Sie müssen es verbinden.« Shan riß sich die Hemdschöße ab und gab sie Feng.
Sergeant Feng starrte nervös in die Schlucht und schien ihn anfangs gar nicht zu hören. Dann drehte er sich zu ihm um und runzelte die Stirn. »Glaubst du etwa, ich hätte Angst vor dem Dämon?«
»Nein. Ich glaube, daß sein Bein blutet.«
Feng stieß ein Grunzen aus und führte Jigme zu einem flachen Felsen am Eingang zur Schlucht. Shan und Yeshe folgten dem Verlauf der Klamm, die sich zunächst zu einem schmalen Durchgang verengte und dann plötzlich auf eine Lichtung führte.
Im selben Moment, in dem Shan einen Fuß auf die Freifläche setzte, griffen die Tiere ihn an.
Sie waren gerade damit beschäftigt, das Fleisch zu verschlingen, das Merak ihnen gebracht hatte, doch sobald sie Shan sahen, sprangen sie auf, fletschten die Zähne und knurrten bösartig. Es handelte sich um die größten Hunde, die er je zu Gesicht bekommen hatte, schwarze tibetische Mastiffs, die gezüchtet worden waren, um die Herden gegen Wölfe und Leoparden zu verteidigen. Allerdings waren die Exemplare hier vor ihm weitaus
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