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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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heiseren Ausruf. Es war kein Wort, sondern eine Warnung. Yeshe hatte versucht, die Tür einen Spalt zu öffnen. Er hielt verlegen, aber unterwürfig inne, zog sich in eine Ecke des Raums zurück und kauerte sich vor die Wand.
    Shan las den Bericht, der am Ende des Tisches hing. »Dr. Sung.« Er sprach ihren Namen ganz langsam aus. »Haben Sie irgendwelche Gewebeanalysen vorgenommen?«
    Die Frau schaute zu Feng, als würde sie sich Hilfe von ihm erhoffen, aber der Sergeant zog sich kaum merklich von der Leiche zurück. Sie zuckte die Achseln. »Spätes mittleres Alter. Elf Kilo Übergewicht. Die Lunge im Anfangsstadium mit Teer verklebt. Eine stark angegriffene Leber, aber davon wußte er vermutlich noch nichts. Reste von Alkohol im Blut. Hat weniger als zwei Stunden vor seinem Tod eine Mahlzeit zu sich genommen. Reis. Kohl. Fleisch. Gutes Fleisch, kein Hammel. Vielleicht Lamm. Oder sogar Rind.«
    Zigaretten, Alkohol, Rindfleisch. Die Kost der Privilegierten. Die Kost eines Touristen, tröstete er sich.
    Feng stellte sich vor eine Anschlagtafel und tat so, als würde er eine Terminliste politischer Zusammenkünfte lesen.
    Shan ging langsam um den Tisch herum und zwang sich, die enthauptete Leiche des Mannes zu betrachten, dessen unglückseliger Geist nun bei den Drachenklauen spukte, der die Arbeit der 404ten ins Stocken gebracht und den Oberst dazu verleitet hatte, Shan aus dem Gulag zu exhumieren. Mit seinem Bleistift schob er die leblosen gekrümmten Finger der linken Hand zurück. Sie war leer. Er ging weiter, hielt inne und schaute sich die Hand dann noch einmal an. An der Basis des Zeigefingers war eine dünne Linie zu sehen. Er drückte mit dem kleinen Radiergummi des Stifts dagegen. Es war ein Einschnitt.
    Dr. Sung zog Gummihandschuhe an und nahm die Hand mit Hilfe einer kleinen Taschenlampe in Augenschein. Da sei noch ein zweiter Schnitt, verkündete sie, und zwar in der Handfläche direkt unterhalb des Daumens.
    »In Ihrem Bericht stand nichts davon, daß Sie einen Gegenstand aus der Hand entfernt hätten.« Es mußte sich um ein kleines Objekt mit scharfen Kanten gehandelt haben, nicht größer als fünf Zentimeter im Durchmesser.
    »Haben wir auch nicht.« Sie beugte sich über die Schnittwunde. »Was auch immer es war, man hat es ihm nach dem Tod aus der Hand gerissen. Kein Blut, kein Schorf. Es ist im Anschluß an die Tat passiert.« Sie betastete die Finger einen nach dem anderen und errötete vor Verlegenheit. »Zwei der Finger sind gebrochen. Die Hand ist sehr stark gequetscht worden. Man hat die im Tode verkrampften Finger gewaltsam geöffnet.«
    »Um an den Gegenstand zu gelangen, den sie umklammert gehalten haben.«
    »Vermutlich.«
    Shan dachte über die Frau nach. Zwischen dem humanitären Dienst in den bedauernswerten Kolonien und der offenkundigen Verbannung lag in der chinesischen Bürokratie nur ein schmaler Grat. »Aber können Sie sich hinsichtlich der Todesursache so sicher sein? Vielleicht ist er bei einem Sturz gestorben, und der Kopf wurde erst später und aus einem anderen Grund entfernt.«
    »Aus einem anderen Grund? Das Herz schlug noch, als der Mann enthauptet wurde. Andernfalls wäre sehr viel mehr Blut im Körper gewesen.«
    Shan seufzte. »Womit denn dann? Einer Axt?«
    »Die Tatwaffe war ziemlich schwer. Und rasiermesserscharf.«
    »Möglicherweise ein Felsen?«
    Dr. Sung reagierte mit einem verdrießlichen Stirnrunzeln und gähnte. »Aber sicher. Ein Felsen mit der Schärfe eines Skalpells. Es war kein einzelner Schlag. Aber auch nicht mehr als drei, würde ich sagen.«
    »War er bei Bewußtsein?«
    »Zum Zeitpunkt des Todes war er bewußtlos.«
    »Ohne den Kopf können Sie das aber nicht mit Sicherheit sagen.«
    »Seine Kleidung«, erwiderte Dr. Sung. »Es war fast gar kein Blut auf seiner Kleidung. Keine Haut oder Haare unter den Nägeln. Keine Kratzspuren. Es gab keinen Kampf. Man hat seinen Körper so hingelegt, daß das Blut von ihm wegfließen würde. Mit dem Gesicht nach oben. Wir haben auf dem Rücken seines Pullovers Erd- und Mineralpartikel gefunden. Nur auf dem Rücken.«
    »Aber daß er bewußtlos war, ist nur eine Theorie.«
    »Und wie lautet Ihre Theorie, Genosse? Daß er durch den Sturz auf einen Felsen gestorben ist und dann zufällig jemand vorbeikam, der Köpfe sammelt?«
    »Wir sind hier in Tibet. Es gibt eine ganze Gesellschaftsschicht, deren Aufgabe darin besteht, Leichen zu zerteilen und für die Beseitigung zu sorgen. Vielleicht ist ein ragyapa

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