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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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stand Shan in Tans Büro. Er war im Warteraum an Yeshe vorbeigegangen und hatte dessen aufgeregtes Flüstern ignoriert.
    »Deine Dreistigkeit, Häftling Shan, wird nur von der Größe des Chomolungma übertroffen«, erklärte Tan.
    »Wissen Sie ganz bestimmt, daß die Fälle nicht miteinander in Verbindung stehen?«
    »Unmöglich«, knurrte der Oberst. »Die Fälle sind abgeschlossen. Du solltest eigentlich ein Loch auffüllen und nicht ständig neue schaufeln.«
    »Aber falls ein Zusammenhang... «
    »Es gibt keinen.«
    »Die Fünf von Lhadrung werden sie von den Leuten genannt. Sie selbst haben sie erwähnt, Oberst. Ich habe es zuerst nicht verstanden, als Sie sagten, die Protestler würden Ihre Befürchtung immer wieder bestätigen, daß Sie nach den Daumen-Aufständen zu nachsichtig vorgegangen seien. Der Grund ist, daß diese Leute erneut verhaftet werden. Als Mordverdächtige.«
    »Die Kultanhänger der Minderheit haben Schwierigkeiten, sich an unsere Gesetze zu halten. Vermutlich ist das Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen.«
    »Wie viele der Fünf wurden wegen Mordes verhaftet?«
    »Das beweist nur, daß es ein Fehler war, sie beim erstenmal freizulassen.«
    »Wie viele?«
    »Sungpo ist der vierte.«
    »Jao hat sie angeklagt?«
    »Natürlich.«
    »Diese Verbindungen kann man nicht ignorieren. Das Ministerium würde es jedenfalls bestimmt nicht tun.«
    »Ich erkenne keine Verbindungen.«
    »Die fünf waren alle hier in Lhadrung und wurden gemeinsam verurteilt und inhaftiert. Eine Verbindung. Dann werden, einer nach dem anderen, vier davon des Mordes beschuldigt. Eine Verbindung. Die ersten drei werden von Jao angeklagt, dem vierten legt man den Mord an Jao zur Last. Eine Verbindung. Ich benötige Informationen über diese drei anderen Fälle. Vielleicht ist der Schlüssel zu allem in einer Verschwörung zu finden.«
    Oberst Tan nahm Shan mißtrauisch in Augenschein. »Bist du gewillt, eine buddhistische Verschwörung aufzudecken?«
    »Ich bin gewillt, die Wahrheit herauszufinden.«
    »Hast du schon mal von den purbas gehört?« fragte Tan.
    »Ein purba ist ein Zeremoniendolch, wie er in buddhistischen Tempeln benutzt wird.«
    »Es ist auch der Name, den sich eine neue Widerstandsgruppe gegeben hat. Zumeist Mönche, obwohl sie nicht vor Gewalt zurückzuschrecken scheinen. Von ganz besonderem Schlag. Natürlich gibt es eine Verschwörung. Von buddhistischen Gewalttätern wie den purbas, mit dem Ziel, Regierungsbeamte zu ermorden.«
    »Heißt das, die anderen Opfer waren ebenfalls Beamte?«
    Tan zündete sich eine Zigarette an und musterte Shan nachdenklich. »Es heißt, daß du dir durch deine Paranoia nicht den Blick aufs Wesentliche verstellen lassen solltest.«
    »Aber was ist, wenn es sich um etwas anderes handelt? Was ist, wenn die Fünf von Lhadrung selbst zu Opfern einer Verschwörung geworden sind?«
    Tan winkte ungehalten ab. »Zu welchem Zweck denn?«
    »Um ein größeres Verbrechen zu verschleiern. Ohne Kenntnis der anderen Fälle kann ich vorerst nichts Genaueres dazu sagen.«
    »Die anderen Morde wurden alle aufgeklärt. Vergiß das nicht.«
    »Was ist, wenn es noch ein weiteres Muster gibt?«
    »Ein Muster?« Wenn er den Rauch ausatmete, wirkte Tan wie ein Drache. »Wen kümmert das schon?«
    »Bei lediglich zwei Morden läßt sich noch kein Muster feststellen. Manchmal auch bei drei noch nicht. Aber jetzt haben wir vier. Vielleicht war bislang etwas unsichtbar, das sich nun erkennen läßt. Was ist, falls das Ministerium zu dieser Erkenntnis gelangt; immerhin liegen dort alle Akten vor? Vier Morde innerhalb weniger Monate. Vier der fünf bekanntesten Dissidenten des Bezirks werden wegen dieser Morde vor Gericht gestellt, aber man unternimmt keinerlei Anstrengung, eine mögliche Verbindung zwischen den Fällen zu untersuchen. Und unter den Opfern befinden sich mindestens zwei der wichtigsten Funktionäre des Bezirks. Zwei oder drei könnte man eventuell noch als Zufall abtun. Vier Morde sehen schon nach einer Welle von Verbrechen aus. Fünf jedoch würden wie fahrlässiger Leichtsinn wirken.«
    Ein Muster, hielt Shan sich erneut vor Augen, als er Yeshe und Feng auf den bevölkerten Marktplatz folgte. Es gab ein Muster, davon war er fest überzeugt. Er wußte es instinktiv, so wie ein Wolf vielleicht eine Beute auf der anderen Seite des Waldes wittern würde. Aber woher kam diese Ahnung? Warum war er sich so sicher?
    Der Markt bestand aus einem Durcheinander aus Verkaufsständen und Hausierern, die

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