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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Seelen der 404ten, hat sie geantwortet. Sie sagte, der Zauberer habe verkündet, die Häftlinge würden allesamt als Märtyrer enden.«

Kapitel 8
    Die Laternenpfähle entlang der Straße, die aus der Stadt führte, wurden silbern angemalt, zweifellos für die hochverehrten Gäste, die in Kürze aus Peking und Amerika eintreffen würden. Aber es wehte ein scharfer Wind, so daß im selben Moment, in dem die Arbeiter die Farbe auftrugen, auch schon Sandpartikel an den Pfählen klebten und sie noch schäbiger als zuvor aussehen ließen. Shan beneidete die Proletarier um die Fähigkeit, die wichtigste Lektion ihrer Gesellschaft zu verinnerlichen, nämlich daß das Ziel eines jeden Arbeiters nicht dann lag, eine gute Arbeit abzuliefern, sondern eine vorschriftsmäßige Arbeit.
    Die kleinen Häuschen, in denen die öffentlichen Telefone untergebracht waren, wurden ebenfalls neu gestrichen, obwohl Sergeant Feng keinen einzigen Apparat finden konnte, der funktionierte. Er folgte einem Kabel zu einem muffigen Teeladen am Stadtrand und requirierte das Telefon für ein Gespräch.
    »Niemand wird dich aufhalten«, erwiderte Oberst Tan, als Shan ihm sagte, er müsse die Schädelhöhle inspizieren. »Ich habe die Höhle an dem Tag geschlossen, an dem wir den Kopf gefunden haben. Warum hast du so lange gebraucht? Die paar Knochen jagen dir doch hoffentlich keine Angst ein.«
    Als der Geländewagen die flachen Geröllhügel erklomm, die aus dem Tal führten, wirkte Yeshe unruhiger als gewöhnlich. »Das hätten Sie nicht tun sollen«, platzte es schließlich aus ihm heraus. »Sie sollten sich nicht auf diese Weise einmischen.«
    Shan drehte sich um. Yeshes Blick schweifte unstet in die Höhe, während sie auf die gewaltige Erhebung der Drachenklauen zufuhren. Riesige Kumuluswolken, die vor dem kobaltblauen Himmel blendend weiß wirkten, hatten sich an die fernen Gipfel geheftet.
    »Einmischen? Wie meinen Sie das?«
    »Na, was Sie getan haben. Das Schädelmantra. Sie hatten kein Recht, den Dämon zu beschwören.«
    »Sie glauben also, das hätte ich getan?«
    »Nein. Es ist nur so, daß diese Leute...« Yeshe verstummte.
    »Diese Leute? Sie meinen Ihre Leute?«
    Yeshe runzelte die Stirn. »Beschwörungen sind riskant. Für die alten Buddhisten waren Worte die gefährlichste Waffe von allen.«
    »Sie glauben, ich hätte einen Dämon beschworen?« wiederholte Shan.
    Yeshe sah ihn kurz an und schaute dann weg. »So einfach ist das nicht. Die Leute werden von den Worten erfahren, die Sie gesprochen haben. Manche werden sagen, der Dämon werde von dem Beschwörenden Besitz ergreifen. Andere werden sagen, der Dämon sei eingeladen worden, erneut zu handeln. Khorda hatte recht. Der Name des Dämons bedeutet Unbarmherzigkeit.«
    »Ich dachte, der Dämon sei bereits freigelassen.«
    Yeshe sah voller Schmerz in seine Hände. »Unsere Dämonen neigen dazu, selbsterfüllend zu sein.«
    Shan musterte seinen Begleiter nachdenklich. Er hatte noch nie jemanden kennengelernt, der im einen Moment wie ein Mönch und im nächsten wie ein Parteifunktionär klang. »Was heißt das?«
    »Ich weiß es nicht. Es wird etwas geschehen. Es wird zu einer Ausrede.«
    »Wofür? Dafür, die Wahrheit zu sagen?«
    Yeshe zuckte zusammen und sah wieder aus dem Fenster.
    Nur eines, was der Zauberer gesagt hatte, ergab einen Sinn.
    Folge Tamdins Pfad. Der Tamdin-Mörder war von der 404ten über die Berge zur Schädelhöhle gegangen. Und Shan mußte diesem Pfad folgen und zu dem schrecklichen, heiligen Ort der toten Lamas zurückkehren.
    Ein einzelner Armeelaster mit zwei schläfrigen Soldaten stand an der Abzweigung zur Schädelhöhle und bewachte die Zufahrt, solange Tan das Projekt für die Dauer der Ermittlungen geschlossen hatte. Die plötzlich auftauchenden Besucher ließen die Männer erschrecken und nach den Gewehren greifen. Dann sahen sie Feng am Steuer und entspannten sich wieder.
    Als sie in das kleine Tal fuhren, war die Luft merkwürdig ruhig. Über ihnen jagten die Wolken schnell vorüber, aber als sie das kleine Plateau mit dem einzelnen Baum erreichten, bemerkte Shan, daß kein Windhauch die Zweige bewegte. Als er aus dem Wagen stieg, beschlich ihn eine sonderbare Vorahnung. Es war auch kein Geräusch zu hören. Außer dem Braun und Grau der Felsen und der Hütte gab es hier kaum etwas Farbiges, abgesehen von einem neuen Schild, dessen leuchtendrote Buchstaben besagten: ACHTUNG - ZUTRITT AUF ANWEISUNG DES MINISTERIUMS FÜR GEOLOGIE UNTERSAGT.
    Yeshe warf

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