Der Fremde vom anderen Stern
durcheinander, und alle behaupteten, eine merkwürdige Lichterscheinung über Castle Mountain beobachtet zu haben.
„Dylan, falls einer von euch Wahnsinnigen wieder mal eine dieser Versuchsraketen abgeschossen hat, ohne mir vorher Bescheid zu sagen ..."
Ihr Bruder schnitt ihr entrüstet das Wort ab. „Na schön. Ich glaube dir. Wahrscheinlich war es bloß ein Polarlicht", lenkte sie ein. „Ich weiß, es ist nicht ganz die Jahreszeit dafür, aber der Meteorologe auf Kanal 4 meinte, es liegt an den Sonneneruptionen. Ich fände es zwar ganz lustig, wenn mal ein Raumschiff in der Stadt landen würde, aber ich schätze, da können wir lange warten."
Beide lachten, und nachdem Charity ihrem Bruder das Versprechen abgenommen hatte, vorsichtig zu fahren, legte sie auf.
Der Hörer lag kaum auf der Gabel, als das Telefon wieder klingelte. Und noch mal und noch mal.
Eine Stunde später hatte sie das Gefühl, fast mit allen einhundertvierzig Einwohnern von Castie Mountain gesprochen zu haben. Was ist bloß mit den Leuten los? fragte sich Charity.
„Es liegt bestimmt am Vollmond", meinte sie zwischen zwei Anrufen zu sich selbst. „Und an den Sonneneruptionen - und am Sturm. Wenn man fünf Tage hintereinander drinnen bleiben muß, können einem schon mal die Nerven durchgehen."
Sie nahm sich vor, Dylan zu fragen, ob Sonneneruptionen eine Massenhysterie auslösen könnten.
Dann zog sie sich Handschuhe und Mantel an, stellte das Telefon auf ihren Privatanschluß um und ging hinaus in das Schneetreiben zu ihrem allradbetriebenen Jeep.
Es war so eisig kalt wie in den Gletscherebenen von Algor. Fröstelnd rieb sich Bram Starbuck die nackten Arme. Eins stand fest: Er hatte die falschen Koordinaten eingegeben. Denn wenn dies tatsächlich Venice, Kalifornien, wäre, mußte sich jemand einen üblen Scherz mit ihm erlaubt und die Hologramme ausgetauscht haben, mit deren Hilfe er sich über Land und Leute informiert hatte.
Merkwürdigerweise trug er nichts anderes auf dem Leib als eine kurze weiße Hose.
Trotz seiner sorgfältigen Vorbereitung, trotz der peniblen Recherche mußte ihm irgendein dummer Fehler unterlaufen sein. Das ärgerte ihn maßlos, denn schließlich hatten ihn seine revolutionären Forschungsberichte und Theorien seinen Job als Vorsitzender des Weltraumrates gekostet. Manche Kollegen gingen sogar so weit, ihm seine Abstammung von einer Terranerin vorzuwerfen. Obwohl Starbuck sich stets alle erdenkliche Mühe gegeben hatte, um dem Idealbild eines Sarnianers gerecht zu werden, war er doch nie auf den Gedanken gekommen, seine menschliche Herkunft zu verleugnen.
Unter für sarnianische Verhältnisse wilden Flüchen, stapfte er durch das dichte Schneegestöber. Mit grimmiger Sturheit, die ihm auf seinem Heimatplaneten nur Ärger eingebracht hatte, arbeitete er sich vorwärts.
Er kam an einem glitzernden, zugefrorenen Bach vorbei. Wasser friert auf der Erde, wenn es kälter als null Grad ist, rief sich Starbuck ins Gedächtnis. Er brauchte kein Thermometer, um zu wissen, daß die schneidende Winterluft den Nullpunkt bei weitem unterschritt.
Leider bestand sein Körper wie der seiner Mutter zu sieben Zehnteln aus Wasser. Sollte das etwa bedeuten, daß er bald genauso erstarren würde wie dieser Bach dort?
Nein, dachte er, das darf nicht geschehen. Nicht nach all dem, was ich in diese Reise investiert habe. Sein Atem wehte wie eine kleine weiße Wolke vor ihm her und gefror auf seinem Gesicht.
Es kann doch nicht jetzt schon alles zu Ende sein! Das war sein letzter Gedanke, ehe sein unterkühlter Körper erstarrte und er ohnmächtig zu Boden sank.
2. KAPITEL
Der Sturm blies den Schnee so heftig gegen die Windschutzscheibe, daß die Scheibenwischer es kaum noch schafften, für freie Sicht zu sorgen.
Rechts und links der Straße hatten Schneepflüge mannshohe Wälle aufgeschaufelt, die in der Abenddämmerung bläulich glitzerten. Charity starrte angestrengt nach vorn, als sie plötzlich etwas auf der Straße liegen sah. Hastig riß sie das Steuer herum und machte eine Vollbremsung. So schnell sie konnte, rannte sie zu der Stelle und kniete sich fassungslos hin. Vor ihr lag ein Mann im Schnee.
Er war bewußtlos und so gut wie nackt. Sie fragte sich, wie jemand dazu kam, bei diesen Temperaturen nur mit weißen Shorts bekleidet draußen herumzulaufen. Rasch fühlte sie seinen Puls, und als sie merkte, daß er beängstigend schwach war, tätschelte sie die Wangen des Unbekannten.
„Hey!"
Keine Reaktion.
Nun
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