Der freundliche Mr Crippen | Roman
verschwand. Er hatte keine Zeit mehr, sie zu beantworten. Der Seemann überprüfte sein Ticket und nickte. »Inspector Dew«, sagte er. »Ja, wir haben auf Sie gewartet.«
»Danke. Ich hatte schon Angst, Sie würden ohne mich fahren.«
»Der Kapitän hat darum gebeten, dass Sie direkt zu ihm kommen, sobald Sie an Bord sind. Wir legen jetzt ab, er ist auf der Brücke. Wenn Sie an Deck kommen, sehen Sie schon die Stufen, die hinaufführen.«
Dew nickte und ging in die angegebene Richtung. An der Reling standen Mengen von Passagieren und winkten den Menschen unten auf dem Kai zu, die gekommen waren, um sie zu verabschieden. Einen Moment lang kam ihm der komische Gedanke, sich mit dort einzureihen und den Reportern zuzuwinken, sodass sie vielleicht noch ein Foto schießen konnten, Dew auf der Jagd nach dem Mörder, doch er entschied sich dagegen. Dazu hätte er sich über die Reling lehnen müssen, und es war absolut möglich, dass ein ungebärdiges Kind vorbeigelaufen kam und ihn in die Tiefe stieß, was eine schreckliche Schlagzeile ergäbe.
Er fand die Brücke ohne große Schwierigkeiten, klopfte an die offene Tür und stellte sich den Männern drinnen vor. »Inspector Dew, Scotland Yard«, sagte er. »Ich bin hier, um mit dem Kapitän zu sprechen.«
»Inspector«, sagte ein großer Mann mit Brille, der jünger als erwartet war und auf ihn zukam. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir. Ich bin Kapitän David Taylor. Willkommen an Bord der
Laurentic.
«
»Danke.«
»Die Reise von London hierher war gut?«
»Lang und ermüdend. Um ehrlich zu sein, bin ich froh, wenn ich mich in meiner Kabine etwas ausruhen kann.«
Taylor lachte. »Sie haben Glück«, sagte er. »Wir hatten in letzter Minute noch eine Absage für eine unserer Luxuskabinen, also habe ich Sie darin untergebracht. Es ist eine der schönsten Kabinen an Bord. Schöner noch als meine.«
»Ausgezeichnet«, sagte Dew und war froh, dass er, wenn er schon eine Seereise unternehmen musste, es wenigstens mit einigem Komfort tun konnte. »Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Hilfe, Kapitän.«
»Nicht der Rede wert. Absolut nicht. Wie ich gesehen habe, hat dort unten ein Empfangskomitee auf Sie gewartet. Tut mir leid.«
Dew nickte und schüttelte dann den Kopf, als missbilligte er derlei Dinge, obwohl er das Licht der Öffentlichkeit durchaus genoss. »Verdammte Halunken«, sagte er. »Sobald sie eine Story wittern, sammeln sie sich um einen wie ein Schwarm Bienen um ein Glas Honig. Heutzutage lässt sich selbst bei der Polizei nichts mehr geheim halten, wie es scheint. Es ist einfach nicht mehr so wie früher. Ich weiß auch nicht, was aus dieser Welt noch werden soll.«
»Ich würde annehmen, die Geschichte wird die ganze nächste Woche auf den Titelseiten zu finden sein«, sagte der Kapitän. »Sie werden unsere Reise sorgfältig verfolgen. Ein ganzer Trupp von denen war schon bei mir, um mir Fragen zu stellen. Ich habe natürlich nichts gesagt. Das überlasse ich Ihnen.«
»Kapitän Taylor?«, fragte Dew und beugte sich etwas vor, »realistisch betrachtet: Wie stehen die Chancen, dass wir die
Montrose
einholen?«
»Ich habe ein paar Berechnungen angestellt«, antwortete Taylor und griff nach einem Notizblock. »Es ist sicher möglich, aber wir müssen gut vorankommen. Die
Laurentic
macht sechzehn Knoten, die
Montrose
nur zwölf. Wir sind zwar etwas schwerer, haben jedoch den Vorteil, von Liverpool auszulaufen und nicht von Antwerpen. Die
Montrose
ist uns drei Tage voraus, Inspector, und wird wahrscheinlich am 31 . Juli in Quebec festmachen. Planmäßig kommen wir am Tag darauf an.«
»Kapitän, es ist absolut zwingend, dass wir sie einholen, bevor sie Land erreicht. Wenn die beiden in Kanada von Bord gehen, wird es verteufelt schwer, sie noch zurückzubekommen.«
»Und die kanadischen Behörden?«, fragte der Kapitän. »Könnten die die beiden nicht einfach verhaften, wenn sie ankommen?«
Dew schüttelte den Kopf. »Das Verbrechen hat außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs stattgefunden«, erklärte er. »Sobald Crippen einen Fuß auf kanadischen Boden setzt, ist er uns entkommen. Wir müssen ihn vorher erwischen.«
Taylor nickte. »Nun, wie gesagt, Inspector, es ist möglich, aber wir müssen einen ganzen Tag gutmachen. Ich werde auf jeden Fall tun, was ich kann, um Sie rechtzeitig hinzubringen. Das verspreche ich Ihnen.«
»Ich danke Ihnen, Kapitän. Vielleicht gehe ich dann jetzt in meine Kabine und richte mich ein.«
Der Kapitän rief
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