Der freundliche Mr Crippen | Roman
Engagement. Ich! Die singende Sensation Bella Elmore! Und klar, als ich die Neue sehe, ist sie ein kleines blondes Ding mit großen Grübchen und einem Busen, der bis hier reicht. Kein Wunder, dass er mich loswerden will«, sagte sie, begann wieder, auf und ab zu laufen, und verschwand in der Küche. »Das ist eine Beleidigung, so eine Beleidigung!«
»Es gibt noch andere Engagements«, sagte er.
»Nichts gibt es!«, rief sie und griff nach einer Pfanne, um etwas in der Hand zu haben, das sie in ihrer Enttäuschung durch die Luft schwingen konnte. Ehe er sichs versah, marschierte sie damit herum und hielt das schwere Ding wie eine Waffe vor sich.
Er versuchte, sie zu beruhigen. »Cora, bitte. Du bist eine wundervolle Sängerin, das weißt du.«
»Ach, Hawley, gib dir keine Mühe. Du denkst, ich tauge nichts, genau wie alle anderen. Du hast mich nie unterstützt.«
»Das ist nicht fair! Ich tue nichts anderes.«
»Ha!«
»Doch«, sagte er und wurde jetzt auch wütend. »Jede Stunde des Tages arbeite ich für dich. Ich ernähre dich, ich putze für dich, ich helfe dir.«
»Ich muss alles allein machen«, murmelte sie und überhörte, was er sagte. »Absolut alles.«
»Wenn Mr Hammond eine bessere Sängerin gefunden hat, heißt das nur, dass du noch mehr arbeiten musst, um deine Stimme zu trainieren, das ist alles.«
Sie drehte sich langsam um und starrte ihn an. »Was hast du da gesagt?«, fragte sie leise.
Er dachte darüber nach. »Ich habe gesagt, dass du mehr arbeiten musst, um …«
»Nein. Davor.«
»Ich … ich weiß nicht mehr.«
»Du hast gesagt, dass sie eine bessere Sängerin als ich ist.«
»Ich meinte nicht
besser«
, sagte er und ruderte zurück, als ihm sein Fehler bewusst wurde. »Ich meinte frischer. Neuer. Jemand, den er noch nicht gehört hat.«
»Du hast
›besser‹
gesagt«, kreischte sie.
»Cora, bitte, ich …«
Er konnte den Satz nicht beenden. Cora wandte sich kurz zur Seite, sammelte alle Kraft und Wut in ihrem Körper und lenkte beides in ihren rechten Arm. Dann schwang sie zurück, hob die Bratpfanne in die Höhe wie einen Tennisschläger und schlug sie ihrem Mann, ohne ihm die Chance zum Ausweichen zu geben, mit voller Wucht ins Gesicht. Hawley wurde nach hinten geworfen, seine Brille krachte gegen die Wand, und das halbe Gesicht fühlte sich sekundenlang wie taub an, bevor es von einem brennenden Schmerz erfüllt wurde. Das getroffene Auge schien wie geblendet, er schlug hin, lag fassungslos da, eine Hand auf die Wange gedrückt, und sah mit dem anderen, guten Auge die Rächergestalt seiner Frau über sich stehen. Die Pfanne immer noch in der Hand, wischte sie sich ein Rinnsal Speichel vom Mund und blickte angeekelt auf ihn herab.
»Du … hast …
besser
… gesagt«, erklärte sie langsam und matt.
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12 Die Jagd beginnt
Liverpool: Samstag, 23 . Juli 1910
Inspector Walter Dew stieg in Liverpool aus dem Zug und sah sich unruhig nach Police Constable Delaney um, der ihn, wie ihm versprochen worden war, erwarten und zum Hafen fahren sollte. Er blickte auf die Uhr und schnaufte verdrossen. Es war neun Uhr vierzig, die
Laurentic
würde in zwanzig Minuten ablegen, und sein Fahrer war nirgends zu entdecken. Dew hatte den Liverpooler Behörden vor seiner Abfahrt aus London eindringlich erklärt, dass er unbedingt vom Bahnhof abgeholt werden müsse, aber bereits am Telefon gespürt, dass, wer immer da am anderen Ende der Leitung war, für einen Inspector von Scotland Yard wenig übrighatte. Die Ablehnung, ja, den Groll in der Stimme des Mannes hatte er förmlich hören können. Er beschloss, bis zwanzig zu zählen, und wenn dann immer noch niemand kam, würde er sich ein Hansom-Taxi nehmen.
Eins … zwei … drei …
Kapitän Kendalls Nachricht war am Abend zuvor spät noch bei Scotland Yard eingegangen, gerade als Dew Feierabend machen wollte. Seine Schwester hatte Geburtstag, er war zum Abendessen bei ihr in Kensington eingeladen und hatte vor, unterwegs noch einen Schluck zu sich zu nehmen. Er brauchte eine Stärkung, bevor er zu ihr ging, denn sie hatte acht Kinder, von denen keines älter als neun Jahre war, und ihr Schreien und ihre Hysterie trieben ihn jedes Mal wieder an den Rand der Demenz.
»Inspector Dew«, sagte PC Milburn zu ihm, als er das Gebäude verließ. »Ich wollte gerade zu Ihnen.«
»Ich muss«, antwortete Dew und klopfte auf seine Uhr. »Es war ein langer Tag. Bis morgen, Milburn. Sie sollten ebenfalls versuchen, etwas Schlaf
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