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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Stuhl und kratzte sich staunend den Kopf. Sie liebt mich?, dachte er. Das ist zu unglaublich, um es mit Worten zu beschreiben. Er nahm seinen Mantel, schloss den Laden ab und hoffte, dass sie noch draußen auf der Straße war, doch sie war bereits außer Sichtweite. Es war sowieso nicht die richtige Zeit, ihr zu folgen, dachte er. Es war Zeit, nach Hause zu gehen, Zeit, Cora zu sagen, wie es von jetzt an laufen würde. Dass er sich von ihr nicht mehr so behandeln lassen würde wie bisher. Dass es keine Schreierei mehr geben würde, keine Gewalt, keinen Ärger. Er ging los, mit großen Schritten, gestärkt durch Ethels Worte und ihre Gefühle für ihn, und er empfand nur noch Wut, hauptsächlich auf sich selbst, weil er eine solche Behandlung zugelassen hatte. Normalerweise wäre er jetzt in die Praxis gegangen, heute nicht.
    Als er ihr Haus am Hilldrop Crescent erreichte, erwartete er, seine Frau auf dem Sofa vorzufinden, Obst essend und ein Buch lesend, was abends ihre Lieblingsbeschäftigung war. Sie war aber nicht da, und doch spürte er ihre Anwesenheit. Zwei halb leere Teetassen standen auf dem Tisch, und er berührte eine von ihnen. Sie war noch warm. Er ging in die Küche, ohne wirklich zu erwarten, sie dort zu finden, und er hatte recht. Im Bad, dessen Tür offen stand, war sie auch nicht. Er ging ins Schlafzimmer, auch dort war niemand. Er strich sich über den Schnauzbart und wollte schon wieder nach unten gehen, als er ein Geräusch vernahm. Es kam von oben, aus dem Zimmer von Alec Heath. Er lauschte aufmerksam und war sich nicht sicher, ob er es sich nur eingebildet hatte. Aber nein, da war es wieder. Langsam ging er zur Treppe und stellte einen Fuß auf die unterste Stufe. Er war nicht mehr dort oben gewesen, seit Alec vor über einem Jahr eingezogen war, und hatte keine Vorstellung davon, in was für einem Zustand das Zimmer sein mochte. Im Grunde betrachtete er es nicht länger als Teil seines Zuhauses. So leise wie nur möglich stieg er die Treppe hinauf, und die Geräusche wurden lauter, je höher er kam. Stöhnen, Ächzen, einzelne Silben flammten zu kleinen Schreien auf, während die Bettfedern eine Art Hintergrundmusik bildeten. Er kam oben an, die Tür stand einen Spalt offen, und er legte die Hand daran und drückte sie geräuschlos weiter ins Zimmer hinein. Vor ihm, auf Alecs Bett, bot sich ein Anblick, den sein Verstand zunächst nicht zu fassen vermochte, so fremdartig kam er ihm vor. Auf dem Bettzeug lag der junge Mann, dem sie das Zimmer vermietet hatten, nackt, wie er diese Welt erblickt hatte, die langen Beine ausgestreckt und die Augen halb geschlossen, während er genussvoll Coras Namen stöhnte, die rittlings auf ihm saß, ebenfalls nackt, mit hängenden Brüsten, schweißnass, und ihm mit einer Hand den Kopf ins Kissen drückte, so tief es ging. Der junge Mann seufzte lustvoll.
     
    Am Abend des 19 . Januar 1910 arbeitete Mr Henry Wilkinson, ein vierundzwanzigjähriger Apotheker in der Lewis&Burrow’s Pharmacy in der Oxford Street. Er hatte Spätschicht und gähnte unaufhörlich, da es sein achter Arbeitstag in Folge war, was an der fortdauernden Krankheit von Mr Tubbs, seinem Arbeitgeber, lag. Henry war völlig erschöpft, und er wusste, sollte Mr Tubbs tags darauf immer noch krank sein, musste er die Apotheke mittags schließen, oder er riskierte, die Rezepte falsch zusammenzumischen. Er konnte kaum noch die Augen offen halten, so ging es nicht weiter.
    Die Glocke über der Tür erklang, und er sah einen Mann mit Hut und einem dicken Mantel mit hochgeschlagenem Kragen eintreten. Der Mann trug eine Brille, hatte einen schwarzen Schnauzbart, trat schnell an die Theke und reichte Henry ein Rezept, wortlos und mit abgewandtem Blick. Henry öffnete das Rezept, las es und hob erstaunt eine Braue.
    »Hyoscin-Hydrobromid«, sagte er. »Das ist eine kraftvolle Substanz. Hat Ihnen Ihr Arzt die damit verbundenen Gefahren erläutert?«
    »Ich
bin
Arzt«, kam die Antwort.
    »Oh. Verstehe«, sagte Henry. »Ich brauche allerdings eine Weile, um es fertig zu machen. Solche Gifte werden nicht oft gebraucht.«
    »Wie lange?«, fragte der Mann mit gedämpfter Stimme.
    »Etwa zehn Minuten, Sir«, sagte Henry. »Möchten Sie warten oder lieber später noch einmal kommen? Wir haben bis um zehn geöffnet.«
    »Ich warte.«
    Henry ging ins Hinterzimmer, von wo aus er den Laden weiterhin im Blick hatte, und konsultierte ein Handbuch, ehe er die Zutaten vom Regal nahm und sie mit einer Pipette

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