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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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konnte er sie wenigstens nicht mehr so von oben herab behandeln.
    Eine gute Armlänge von ihnen entfernt, presste Tom DuMarqué die Nägel in seine Handballen und musste alles tun, um nicht vor Wut aufzuheulen. Edmunds Worte fachten den Hass auf seinen Rivalen immer noch weiter an, dieses fruchtlose Gerede über Schönheit, Liebe und
Gefühle
ekelte den Jungen an. Das war dummes, romantisches Zickengeschwafel und passte nicht zu einem normalen, gesunden Kerl. Hätten er und seine Freunde diesen Laffen in den Straßen von Paris in die Finger bekommen, hätten sie gewusst, was sie mit ihm machen sollten. Und was Victoria anging: Was redete sie da von seinem Knochenbau? Ich geb dir Knochenbau, dachte er. Was für eine grausame Welt war das eigentlich, die ein so schönes Mädchen wie sie an eine so nutzlose Niete wie Edmund Robinson verschwendete, obwohl er, Tom DuMarqué, ein starker, männlicher, athletischer Kerl, sie so sehr wollte? Es war im Grunde nicht auszuhalten, aber er konnte nicht einfach davonlaufen und auch ihr Gespräch nicht unterbrechen.
    »Die Sache mit diesem Schiff ist«, sagte Edmund und fing bereits an, die Worte leicht zu verschleifen, »die Sache ist, dass es zu langsam ist. Ich wette, in fünfzig Jahren packen sie größere Maschinen in die Schiffsbäuche, und dann geht es in ein paar Stunden quer über den Atlantik.«
    »Glaubst du wirklich?«
    »Natürlich. Es ist unvermeidlich. Die Technologie schreitet immer weiter fort. Wenn du denkst, dass die Transatlantikschiffe zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts immer noch nicht schneller sind … nun, du wärst dumm, das zu glauben, weil es nämlich nicht so sein wird.«
    »Du solltest Ingenieur werden«, murmelte Victoria, rückte näher an ihn heran und sehnte sich danach, ihm mit dem Finger über die Wangenknochen zu fahren. »Oder Erfinder.«
    »Vielleicht sollte ich das«, sagte er.
    »Ich bin sicher, du wärst sehr gut«, fuhr sie fort und ermutigte ihn. »Du hast einen so starken Willen und bist so voller Ideen. Ich sehe mich in ein paar Jahren schon die Zeitung aufschlagen und lesen, dass du irgendwas wundervolles Neues entdeckt hast, das die Welt verändert. Ich wäre so stolz auf dich.«
    »
Du
wärst stolz auf
mich?
«
    »Klar.«
    »Aber warum? Du kennst mich doch kaum.«
    »Ich wäre stolz, weil ich dich überhaupt kenne«, sagte sie, und ihre Worte drangen sanft in sein Ohr, wärmten und faszinierten ihn. »Ich bin stolz, dass ich dich heute kenne.«
    Edmund wandte langsam den Kopf und sah seine Trinkgenossin an. Er war etwas benommen und hatte das Gefühl, seinen Körper nicht mehr ganz im Griff zu haben. Er hatte schon lange nicht mehr so viel Alkohol getrunken, und es bestand die Gefahr, dass er die Kontrolle verlor. Er sah Victoria in die Augen und fragte sich, wie er sie je hatte irritierend finden können. Was sie sagte, war so überlegt und einfühlsam. Fast nie hatte er solchen Zuspruch erfahren, nicht einmal von Hawley.
    »Du bist lieb, Victoria«, flüsterte er, aber sie legte ihm einen Finger auf die Lippen und ließ ihn ein Weile dort liegen. Das Gefühl, diese vollen roten Lippen zu berühren, schickte Wellen des Verlangens durch ihren Körper, und es fiel ihr schwer, sich nicht auf ihn zu stürzen, aber ihre Strategie schien Erfolg zu haben, und sie war entschlossen, es nicht auf dem letzten Meter wieder zu verderben.
    »Sag jetzt nichts, Edmund«, flüsterte sie, nahm den Finger weg und brachte ihr Gesicht so nahe an seines, dass er nichts anderes tun konnte, als sich vorzubeugen und sie zu küssen. Ihre Lippen trafen sich, und Edmund schloss die Augen und verlor sich an den Moment. Der Champagner pulsierte durch seinen Körper, erregte seine Nerven, stimulierte seine Sinne, und sie küssten sich und küssten sich, und ihre Münder öffneten sich weiter, während sie ihre Zungen den Mund des Gegenübers erkunden ließen.
    Fast eine Minute ging das so, bis Edmund die Augen öffnete und begriff, was er da tat. Überrascht und verblüfft, als wäre er nicht Teil des Ganzen, sondern nur ein Zuschauer, fuhr er zurück, bewegte sich ein Stück von ihr fort und sah sie verwundert an.
    »Edmund«, sagte sie, und ihre Lippen bogen sich genussvoll vor, hatte sie doch endlich die Oberhand bekommen. »Was ist?«
    »Es tut mir leid«, stotterte er. »Ich … ich sollte das nicht tun.«
    »Warum nicht? Es ist doch nichts Falsches daran.«
    »
Alles
ist daran falsch«, sagte er, stand auf, strich sich die Hose glatt und fuhr sich mit

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