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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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der Hand an die Stirn. »Du verstehst nicht. Ich sollte nicht … Ich kann es nicht erklären, es ist …«
    »Edmund, was zum Teufel ist los?«, fragte sie und wurde langsam wütend. Es war lächerlich. Sie hatte noch nie erlebt, dass jemand so auf eine Intimität reagierte. Was um alles in der Welt stimmte mit diesem Kerl nicht? War er religiös oder so etwas? »Um Himmels willen, wir haben uns doch nur geküsst«, sagte sie.
    »Ja, aber ich sollte dich nicht küssen. Ich bin nicht … du bist nicht mein Typ.«
    »Das kam mir gerade aber nicht so vor. Es hat sich ganz so angefühlt, als würde es dir gefallen.«
    »Das hat es auch. Ich meine, nein. Ich könnte nicht … Ich …« Er ließ verwirrt den Blick kreisen, stieg dann über sie hinweg und machte ein paar große Schritte, um möglichst weit von ihr wegzukommen. »Es tut mir leid, Victoria«, sagte er. »Ich muss gehen.«
    »Aber das darfst du nicht!«, rief sie, jetzt wirklich wütend auf ihn, weil er so dumm war. »Wir haben doch erst angefangen. Es ist niemand hier, niemand kann uns sehen. Ich kann dich sehr glücklich machen, Edmund«, schnurrte sie, »wenn du mich nur lässt.«
    »Ich
muss«
, sagte er. »Es tut mir leid.« Er drehte sich um, sodass sie sein Gesicht nicht mehr sehen konnte, wäre beinahe über ein Tau gestolpert und rannte das Deck hinunter. Seine Stiefel schlugen schwer auf die Planken.
    Fast gleichauf mit ihm blieb Tom DuMarqué, der alles gehört und gesehen hatte und der kurz davor gewesen war, über das Rettungsboot zu springen und Edmund zu Brei zu schlagen, als der sich von Victoria frei gemacht hatte und davongelaufen war. Tom folgte Edmund, er würde ihn nicht so einfach davonkommen lassen. Als Edmund sich nach links zum Hauptdeck wandte, um zu den Kabinen zu kommen, fing Tom ihn ab und sprang ihm in den Weg.
    Edmund hielt verdutzt inne, als er ihn da vor sich sah. Er erkannte ihn und wollte davonlaufen, aber der Jüngere war zu schnell für ihn, packte ihn bei der Kehle und schob ihn zurück, bis er ihn mit dem Rücken vor den Aufbauten um die Erste-Klasse-Kabinen hatte.
    »Tom«, rief Edmund, aber seine Worte waren kaum mehr als ein Kieksen, weil die Hände seines Angreifers ihm die Luft abdrückten. »Was machst du …?«
    »Du kannst nicht sagen, dass ich dich nicht gewarnt hätte«, zischte Tom ihn an. »Ich habe dir gesagt, du sollst die Hände von ihr lassen.«
    »Ich habe nicht …«, sagte Edmund unter größten Mühen, aber er kam nicht weiter.
    Tom lockerte den Griff um seinen Hals ein wenig, hielt ihn mit seinem Körper jedoch am Platz und sah ihn an.
    »Hast du gedacht, ich mache Witze, als ich dich gewarnt habe? Hast du das?«, fragte er, zog das Messer aus der Tasche, öffnete es und fuhr mit der Klinge vor Edmunds entsetztem Gesicht hin und her. »Da werde ich dir wohl eine kleine Lehre erteilen müssen«, sagte er und fuhr mit der rechten Hand zwischen Edmunds Beine. Er wollte ihn bei den Hoden packen, gegen die Wand drücken und ihm ein Stückchen Haut vom unteren Rand der Wandung zwischen den beiden Nasenlöchern schneiden. Den Trick hatte er aus
Tom Sawyer.
Seine Hand drückte sich zwischen Edmunds Beine, fand dort aber nichts, was er hätte packen können, und er suchte und suchte, bis er begriff, dass dort nichts war. Verblüfft und sich fragend, was da nicht stimmte, sah er Edmund ins Gesicht, seine Augen wurden größer, sein Kinn sank herunter, und sein Griff um das Messer lockerte sich einen Moment lang, der ausreichte, dass es ihm aus der Hand gerissen und quer über das Deck geworfen wurde.
    Innerhalb einer Sekunde, bevor ihm bewusst wurde, was da geschah, wurde er über das Deck der
Montrose
zur Reling hinübergezerrt. Seine Füße schabten über die hölzernen Planken, suchten nach Halt, damit er sich aufrichten und zur Wehr setzen konnte, aber es war unmöglich, schon wurde er gegen die Reling gedrückt. In heller Panik drehte er den Kopf, sah das Wasser unter sich vorbeirauschen, wandte den Blick gleich wieder ab und starrte flehend in Mr John Robinsons Gesicht, der zu unerwarteter Kraft gefunden hatte und den Jungen dem Tod entgegendrückte.
    »Bitte«, rief Tom, dem es fast unmöglich war, auch nur einen Ton herauszubringen, solche Angst hatte er, ins Meer geworfen zu werden. »Bitte, es tut mir leid …«
    »Leid?«, schrie Mr Robinson, drehte sich um und sah zu Edmund hinüber, der auf dem Boden saß, sich den Hals rieb und laut hustete. »Ich werde dir zeigen, was es heißt, etwas

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