Der freundliche Mr Crippen | Roman
Unternehmungen auf der anderen Seite des Atlantiks bereitstellte, betrachtete sich als gebildeten Menschen und hatte ausdrücklich darum gebeten, während seines Urlaubs in London in eine Shakespeare-Produktion eingeladen zu werden. So hatte Andrew denn vier Karten für den
Sommernachtstraum
gekauft, für sich und seine Gattin sowie Señor del Poco und seinen Reisebegleiter, einen achtzehnjährigen Muskelprotz mit einem Menjoubärtchen, der nur Ramon genannt wurde. Die Aufführung fand im Garrick Theatre statt, und die Nashs durchlitten die ersten drei Akte zunehmend angeödet. Margaret lenkte sich irgendwann damit ab, dass sie versuchte, für jeden Buchstaben des Alphabets Namen von englischen Orten zu finden, kam bis Newcastle und blieb beim O stecken. Als endlich der Vorhang zur Pause fiel, ließ Andrew Nash einen erleichterten Seufzer hören und freute sich auf den nun folgenden Barbesuch.
»Ein wunderbares Stück, wie?«, sagte er, schlug Señor del Poco herzlich auf den Rücken und schob ihn in Richtung Gang. »Margaret und ich gehen viel zu wenig ins Theater. Es wird Zeit, dass sich das ändert. Hat mir sehr gefallen, war natürlich immer schon ein großer Shakespeare-Fan.
Der Kaufmann von Verona, Richard
IV
., Die gespenstische Lähmung,
alles wundervolle Stücke, jedes einzelne. Wenn wir uns beeilen, kommen wir gerade noch rechtzeitig zum Dinner ins Savoy.«
»Aber das ist doch erst die Pause«, sagte Señor del Poco, sah Andrew Nash misstrauisch an und erkannte in ihm den ungebildeten Narren, der er war. »Es kommen noch zwei Akte.«
»Natürlich, natürlich«, antwortete Andrew nach kurzem Zögern niedergeschlagen, »ich wollte Sie nur testen. Bei so wundervoller Unterhaltung kommt kein Hunger auf. Sie sind noch lang, richtig, die zwei anderen Akte?«
»Vielleicht sollten wir uns während der Pause etwas zu trinken besorgen, Andrew«, schlug Margaret Nash vor und überging den Fauxpas ihres Mannes. »Oben gibt es eine Bar. Ramon sieht aus, als würde er vor Durst sterben.«
»Achten Sie nicht weiter auf ihn«, sagte Señor del Poco und betrachtete den Jungen mit einer Mischung aus Lust und Verachtung. »Er ist weniger wert als der Schmutz unter den Sohlen der Eidechsen, die sich von den Fliegen der Sierra Madre ernähren.«
»Verstehe«, sagte Andrew fröhlich. »Dann also nichts für ihn. Aber Sie trinken doch sicher einen Whisky mit mir?«
»Sicher. Mein Mund fühlt sich an wie ein Blatt, das über Tausende von Jahren von einer Sanddüne zur anderen geweht wurde, immer in Sichtweite einer Oase, das aber dank der Grausamkeit des Schirokkos nie in einer landen durfte.«
»Bin selbst auch etwas durstig, mein Guter«, sagte Andrew.
Die vier Gefährten schlugen also den Weg Richtung Bar ein, freundlich miteinander schwatzend, bis auf den jungen Ramon, der nur zwei englische Worte beherrschte. (Señor del Poco hatte ihn nicht wegen seiner Konversationskünste mit nach London gebracht.)
»Zwei Whisky und einen Sherry, Barmann«, sagte Andrew, lehnte sich an die Theke und sah sich zerstreut unter den Anwesenden um. Er hatte nicht zu viel übrig für Leute, die ins Theater gingen. Sie kamen ihm schrecklich verweichlicht vor, und etwas Schlimmeres als weibische Männer gab es für ihn nicht. Andrew hatte sein Geld im Baugeschäft gemacht, das er für durch und durch männlich hielt, ehrliche Arbeit, die gut für die Muskeln und fürs Bankkonto war. In Mexiko war er mit seiner Firma jetzt seit anderthalb Jahren tätig, und in dieser Zeit hatte er sein Vermögen fast verdoppelt. Ein Sechstel des Einkommens aus seinen mexikanischen Unternehmungen floss in die Taschen von Señor del Poco, der sich die Dienste der mexikanischen Bauern zu einem Bruchteil ihres tatsächlichen Wertes sicherte und sein Geld für Auslandsreisen und bezahlte Begleiter wie den Zwei-Worte-Ramon ausgab.
»Andrew, sieh doch!«, sagte Margaret Nash und zupfte ihren Mann am Arm, weil sie jemanden auf der anderen Seite des Raumes entdeckt hatte. »Sieh mal da drüben!«
»Was?«, fragte er, während sich die drei Männer umdrehten und in die Richtung sahen, in die sie deutete. »Was ist denn?«
»Ist das nicht Dr. Crippen?«, sagte sie.
»Doktor wer?«
»Crippen. Oh, du erinnerst dich an ihn. Wir haben vor einiger Zeit diesen schrecklichen Abend in seinem Haus verbracht. Mit Nicholas und Louise. Seine Frau konnte nicht aufhören, vor uns allen mit ihm zu streiten.«
»Eine Frau, die ihrem Mann widerspricht, sollte aus dem Haus
Weitere Kostenlose Bücher