Der freundliche Mr Crippen | Roman
werden.«
»Verbrechen gibt es überall, meine Liebe«, antwortete er. »Tagtäglich werden Menschen ermordet. Du wärst überrascht zu erfahren, wie viel Menschen morgens aufwachen, und ehe es Abend wird, haben sie jemanden umgebracht. Das ist nicht nur in Utah so.«
Während der nächsten zwei Jahre wohnten sie ziemlich bequem im oberen Stock eines Hauses, das einem pensionierten Ehepaar gehörte. Die beiden lebten unter ihnen und beschwerten sich ständig wegen des Lärms, den der kleine Otto machte, obwohl es sich um ein ungewöhnlich friedliches Kind handelte. Hawley genoss seine Arbeit in der Klinik, wenn er auch ständig Überstunden machen musste und nicht die Verantwortung übertragen bekam, auf die er gehofft hatte. Tatsächlich wurden von den zwölf neuen Angestellten, die gleichzeitig eingestellt worden waren, nur drei so weit befördert, dass sie das Recht bekamen, eigene Projekte zu planen. Die anderen, einschließlich Hawley, blieben kaum mehr als Assistenten für die aufgestiegenen Mitglieder der Mannschaft. Hawley war sich bewusst, dass seine Arbeitgeber nicht viel von ihm hielten, und es ärgerte ihn, dass ihm ein weiteres Mal der Aufstieg verweigert wurde.
Das Eheleben erwies sich ebenfalls als schwierig. Charlotte Bell war die erste Frau, die Hawley je geküsst hatte, womit klar ist, dass ihre Hochzeitsnacht auch das erste Mal darstellte, dass er mit einem anderen menschlichen Wesen kopulierte – wobei Charlotte den aktiven Part übernahm und nicht er. Zunächst waren ihre Intimitäten peinlich und unbefriedigend, dann wurden sie auch immer seltener. Zu Ottos Empfängnis war es an einem jener seltenen Abende gekommen, da Hawley zu viel Brandy getrunken hatte. Charlotte wollte unbedingt ein Baby, und sie hatte seinen Zustand ausgenutzt.
»Deine Mutter hat wieder geschrieben«, sagte sie eines Morgens am Frühstückstisch, während Hawley die Zeitung las. Er sah sie verärgert über den oberen Rand der Zeitung hinweg an. Sie wusste, dass er sich frühmorgens noch nicht gerne unterhielt. Wenn sie am Morgen schon alle Familienangelegenheiten besprachen, was gab es dann noch zu reden, wenn er am Abend nach Hause kam? Aber heute bestand sie darauf.
»Hat sie das?«, fragte er trocken.
»Sie möchte uns besuchen kommen«, sagte Charlotte, blätterte durch die Seiten und suchte nach möglichen unangenehmen Neuigkeiten, bevor sie noch einmal anfing und den Brief sorgfältiger las. »Oder wir sollen sie besuchen. Sie meint, wir sollen sagen, was wir lieber hätten.«
»Ich persönlich weder das eine noch das andere«, sagte Hawley. »Sollen wir ihr das schreiben?«
»Sie möchte Otto wiedersehen. Sie muss ihn fürchterlich vermissen.«
Hawley legte die Stirn in Falten. »Das letzte Mal ist sie geradewegs ins Wohnzimmer marschiert und hat ihn mit Weihwasser übergossen. Der arme Kerl war so erschrocken, dass er in Tränen ausbrach und sie tagelang nicht ansehen wollte.«
»Ich weiß«, sagte Charlotte und versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. »Sie dachte, sie würde das Richtige tun.«
»Das war es aber nicht.«
»Sie denkt, wir sind nicht christlich genug.«
»Für unsere Belange sind wir christlich genug. Ich mag es nicht, wenn meine Mutter herkommt und uns erklärt, wie wir unser Kind großzuziehen haben. Sie hat absolut veraltete Vorstellungen. Ich habe dir doch erzählt, wie ich meine wissenschaftlichen Zeitschriften vor ihr verstecken musste …«
»Unter der Matratze, ja. Du hast es ein-, zweimal erwähnt«, sagte Charlotte verzweifelt. »Wirklich, Hawley, das ist Jahre her. Ich finde, du solltest das hinter dir lassen.«
»Ich bin Wissenschaftler, meine Liebe, kein Priester.«
»Soll ich ihr also schreiben, dass sie kommen kann?«
»Himmel, nein. Schreibe ihr, wir kommen im neuen Jahr nach Ann Arbor, und Ende Dezember schreiben wir und sagen, Otto hat Krupp.«
»Hawley! Fordere das Schicksal nicht heraus!«
»Es gibt kein Schicksal, meine Liebe. Wir selbst sind die Schmiede unseres Geschicks, und glaub mir, wenn ich sage, Otto bekommt Krupp, macht ihn das genauso wenig krank, wie es uns reich macht, wenn ich sage, dass wir hunderttausend Dollar erben und ich zum schwedischen König gewählt werde. Wirklich, meine Liebe, du bist sehr süß, was diese Dinge betrifft, aber auch ziemlich unschuldig.«
Hawley glaubte vorbehaltlos, was er über Schicksal und Geschick sagte, dennoch mochte Charlotte es nicht, wenn er so über die Gesundheit ihres Kindes redete. Sie tat so, als
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