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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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ihre Stimme übertönte die Gespräche aller anderen. »Mein Mann, Mr Drake, und ich sind schon öfter auf Schiffen gereist, haben aber noch nie am Kapitänstisch gegessen.«
    »Es ist ein Vergnügen, Sie hier zu haben«, brummte der Kapitän.
    »Miss Hayes hat mir eben erzählt, dass sie verlobt ist und heiraten wird«, sagte Billy Carter und machte sich mit Genuss über sein Steak her. »Lebt Ihr Verlobter in Kanada?«, fragte er sie.
    »Oh!«, rief sie, verlegen und überrascht, dass er das hier vor allen anderen ansprach.
    »Verlobt!«, sagte Mrs Drake, als wäre der bloße Gedanke schon völlig absurd. »Ach, wie schön. Aber sagen Sie, meine Liebe«, fügte sie gleich noch hinzu und starrte auf Marthas nackte Finger. »Wo ist denn Ihr Verlobungsring?«
    »Meinen Glückwunsch, Miss Hayes«, sagte Matthieu Zéla gleichzeitig. »Darauf sollten wir trinken.«
    »Nein, nein«, sagte Martha und schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, dass sich Monsieur Brillt als … das heißt, Monsieur Brillt und ich … nun, es tut mir leid, sagen zu müssen, dass wir unsere Verlobung gelöst haben.«
    »Verstehe«, sagte Mrs Drake, und ihre Nasenflügel flatterten, als witterte sie einen Skandal.
    »Hat er sich eine andere ausgesucht?«, fragte Tom und sah Victoria an, um ihr zuzuzwinkern, aber die starrte ihn an, als verströmte er einen üblen Geruch.
    »Tom«, sagte Matthieu leise.
    »Das ist etwas Persönliches«, sagte Martha und blickte verlegen auf ihren Teller. »Ich würde lieber nicht darüber sprechen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Vielleicht sollten wir das Thema wechseln«, sagte Mr John Robinson und warf einen hoffnungsvollen Blick in die Runde. Es tat ihm leid, dass sie so in die Enge getrieben worden war.
    »Ganz recht«, pflichtete ihm Matthieu bei. »Sagen Sie, Edmund«, fuhr er fort und wandte sich nach links. »Welchem beruflichen Feld möchten Sie sich denn in Kanada zuwenden?«
    »Ich bin Arzt«, sagte Mr Robinson und antwortete für ihn. »Ich hoffe, ich kann mir dort eine Praxis einrichten. Edmund wird mit seinen Studien fortfahren.«
    »Ist das so?«, sagte Matthieu, sah ihn an und nickte langsam. »Wie alt sind Sie, Edmund?«
    Der Junge blinzelte und schien nachzudenken. »Siebzehn«, sagte er.
    »Und Sie, Kapitän Kendall«, sagte Mrs Drake, »Ihre Frau muss Sie fürchterlich vermissen, wenn Sie auf See sind.«
    »Siebzehn ist ein schönes Alter«, sagte Matthieu. »Da freuen Sie sich bestimmt, in Miss Drake eine Altersgenossin gefunden zu haben, nicht wahr?«, fragte er und nickte zu Victoria hinüber, die ihn zornig anfunkelte.
    »Ich bin ein unverheirateter Mann«, sagte der Kapitän förmlich und mit einem kurzen Stirnrunzeln. Halb dem anderen Gespräch folgend, erinnerte er sich, dass er Edmund und Victoria gemeinsam in Richtung Kabinendeck hatte verschwinden sehen. Er vermutete unstatthaftes Verhalten.
    »Sie waren nie verheiratet? Sind nicht mal Witwer?«
    »Alle Passagiere, die ich bislang kennengelernt habe, scheinen sehr nett zu sein«, sagte Edmund, um Victoria nicht besonders hervorzuheben.
    »In der Tat.«
    »Meine Frau ist daheim in Antwerpen. Sie bekommt bald ein Baby«, sagte Billy Carter.
    »Ich fand Witwer immer sehr charmant.«
    »Einige sind nicht so nett wie andere«, sagte Victoria.
    »Sie sind sehr still, Mr Robinson«, sagte Monsieur Zéla. »Genießen Sie Ihr Essen?«
    »Wie schön für Sie«, sagte Martha Hayes. »Ist es Ihr erstes?«
    »Ich kann ziemlich nett sein, weißt du?«, sagte Tom und schob die Hand unter den Tisch, um Victorias Knie zu drücken.
    »Es ist köstlich«, sagte Mr Robinson, zerlegte sein Hähnchen gekonnt und trennte Beine und Brüste vom Rumpf.
    »Natürlich ist eine Witwe etwas ganz anderes. Manche sind äußerst plump. Was daran liegt, dass sie endlich die Kontrolle über das Geld haben, verstehen Sie. Ich nehme an, es haben an Bord schon einige Witwen versucht, Ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, Kapitän, habe ich recht?«
    »Das erste von vielen, hoffe ich!«
    »Nimm deine Hände von mir, du kleiner Scheißer, oder ich schneide dir die Eier ab«,
flüsterte Victoria, und Tom zog seine Hand zurück und schluckte nervös, fühlte sich jedoch ungeheuer erregt.
    »Wo kommen Sie ursprünglich her, Mr Robinson? Haben Sie in Antwerpen gelebt?«
    »Ich tue meine Pflichten an Bord, Mrs Drake. Sonst nichts«, sagte der Kapitän mit einem trockenen Lachen. Diese Art von persönlicher Befragung war einer der Gründe, warum er diese Essen so

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