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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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zurück und genießen Sie die musikalischen Darbietungen der entzückenden, der appetitlichen, der sagenhaft deliziösen Bella Elmore!«
    Hawley hob den Blick von seinem Glas, als eine vollbusige junge Frau von etwa siebzehn Jahren auf die Bühne trat. Der Applaus hielt sich im Vergleich zu ihrer überwältigenden Vorstellung durch den Conférencier sehr im Rahmen, doch dann sah er noch einmal hin und betrachtete sie eingehender. Bella Elmore hatte ein durchaus hübsches Gesicht, allerdings sehr breite Schultern. Zudem schien sie etwas schwer für jemanden ihres Alters. Das dunkle Haar türmte sich hoch auf ihrem Kopf, ein paar Strähnen hingen ihr in den Nacken, und die Wangen waren stark geschminkt. In schneller Abfolge sang sie drei beliebte Lieder, wovon eines für Hawleys Geschmack etwas derb war, gab sich kaum Mühe und achtete nicht weiter darauf, dass das Publikum die ganze Zeit über redete. Hawley jedoch war wie gebannt. Er beobachtete sie und hoffte, sie würde ihn bemerken, und als sie ihr letztes Lied beendete, fing er ihren Blick auf und schenkte ihr ein Lächeln. Sie sah ihn einen Moment lang aufmerksam an, erwiderte sein Lächeln und nickte ihm höflich zu. Darauf verschwand sie von der Bühne und machte einem Jongleur mit einem gewachsten Schnauzbart Platz. Hawley sah sich um, ob sie vielleicht im Zuschauerraum erschien, aber sie war nirgends zu entdecken.
    Zehn Minuten später seufzte er enttäuscht und stand auf, um nach Hause zu gehen. Immer noch allein.
    »Ich hatte schon gedacht, Sie würden mir ein Glas spendieren«, erklang hinter ihm eine Stimme, und er fuhr herum und fand sich der jungen Sängerin gegenüber, die ihn, die Hände in die Hüften gestemmt, vielsagend anlächelte.
    »Es wäre mir ein Vergnügen«, sagte Hawley leicht verwirrt und schnippte mit den Fingern, um eine der Kellnerinnen herbeizurufen.
    »Eine Flasche Champagner, Cissie«, sagte die junge Sängerin, während sie sich setzte. »Und zwei Gläser.« Hawley lächelte und überlegte, ob er genug Geld dabeihatte, um eine derartige Ausschweifung zu finanzieren. Er wusste nicht, dass sie, wann immer sie den Blick eines Gastes auffing, dafür sorgte, dass er das teuerste Getränk bestellte. Je mehr Flaschen Champagner so an den Mann gebracht wurden, desto voller war zum Ende der Woche der Umschlag mit ihrem Lohn.
    »Hawley Crippen«, sagte er und streckte die Hand aus. »Und Sie sind Miss Bella Elmore, richtig?«
    »Cora Turner«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Bella ist mein Künstlername. Das klingt elegant, finden Sie nicht auch? Ich habe ihn mir selbst ausgedacht, wissen Sie.« Sie sprach mit einem vornehmen Akzent, so als wäre sie drüben in England im Buckingham Palace aufgewachsen und nicht als Tochter russisch-polnischer Einwanderer in einem Wohnblock in Queens. Cora Turner war ebenfalls ein Pseudonym. Tatsächlich hieß sie Kunigunde Mackamotzki, hatte den Namen aber früh schon abgelegt, weil er ihr viel zu lang war.
    »Ja, doch, wirklich elegant«, antwortete Hawley, ängstlich darauf bedacht, der jungen Frau zu gefallen. »Ich habe Ihren Gesang sehr genossen, Miss Turner. Sie haben eine schöne Stimme.«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Ich bin die beste Sängerin hier.«
    »Da bin ich sicher.«
    Sie nahm sein Kompliment ohne ein weiteres Wort entgegen, zündete sich eine Zigarette an und sah ihm die ganze Zeit in die Augen. Für gewöhnlich übernahmen die Männer die Führung, doch sie konnte sehen, dass er eher der ruhige Typ war und ihre Hilfe brauchte. »Was machen Sie so, Hawley Crippen?«, fragte sie nach einigen Augenblicken des Schweigens.
    »Ich bin Arzt.«
    »Ah, ein Arzt, wie? Sehr nobel.«
    »Nicht sonderlich«, sagte er und lachte etwas. »Ich bin auf Ophthalmologie spezialisiert, was nicht so glanzvoll ist, wie es klingt.«
    »Ophthalmologie?«, fragte sie, zog die Nase kraus und hatte Schwierigkeiten, das Wort richtig herauszubekommen. »Und was ist das, wenn wir Englisch reden?«
    »Die Augenheilkunde«, sagte er.
    »Und davon leben Sie?«, fragte sie und nahm einen großen Schluck Champagner, während Hawley vorsichtig an seinem Glas nippte.
    »O ja.«
    »Mir ist immer gesagt worden, dass ich schöne Augen habe«, sagte sie und war auf ein weiteres Kompliment aus.
    »Tatsächlich«, sagte er und enttäuschte sie. »Darf ich fragen, wie lange Sie schon in solchen Music Halls tätig sind?«
    »Seit drei Jahren. Seit meinem vierzehnten Geburtstag. Ich habe vor, eine der weltbesten

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