Der Frevel des Clodius
mehrere Morde wert?«
»Nein, die Entweihung der Riten ist eine Lachnummer geworden. Die Römer sind längst nicht mehr so fromm, wie sie es einmal waren. Clodius muß in jener Nacht noch etwas anderes angestellt haben, dessen Entdeckung er weit mehr fürchtet.«
»Dann glaubst du also, daß Clodius all diese Verbrechen begangen hat?« Ich schüttelte den Kopf. »Er ist daran beteiligt, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er sich etwas so Abwegiges selbst ausgedacht hat. Sein Stil ist eher der Frontalangriff. Nein, wir müssen herausfinden, wer in jener Nacht sonst noch zugegen war.«
»Wer sonst noch? Du meinst, Clodius sei nicht der einzige Mann gewesen, der die Riten entweiht hat?«
»Wenn er nicht an den Riten selbst teilgenommen hat, dann war er sonst irgendwo im Haus. Wo ließe sich ein Treffen mit ruchlosen Absichten besser abhalten als in einem Haus, aus dem vermeintlich alle Männer für diese Nacht verbannt sind?«
»Eine Verschwörung! Das wird ja immer besser!« Es war offensichtlich, daß ihr Entzücken, Komplotte zu enthüllen, meinem in nichts nachstand.
»Ich vermute, daß Clodius und seine Mitverschwörer ein Treffen geplant haben, das auch stattgefunden hat. Dann hätte er beinahe alles ruiniert, weil er es sich nicht verkneifen konnte, noch einmal ins Haus zu schleichen, um das Ritual zu belauern.
Jeder, der Clodius vertraut, verdient, was immer ihm geschieht.«
Ich warf einen Blick ins Innere des Tempels, wo Priester Feuer vor den Statuen der Zwillinge errichteten. In dem Augenblick, in dem mir das Wort »Zwillinge« durch den Kopf ging, tauchte auch die Frage wieder auf, die mich so lange gequält hatte.
»Julia, du hast doch gesagt, daß Fausta an dem Abend dabei war. War sie mit euch unverheirateten Damen zusammen?«
Julia runzelte nachdenklich die Stirn. »Nein. Sie kam zusammen mit Claudia, der Frau von Lucullus. Sie trug einen Schleier, aber er war fast durchsichtig, und ich habe sie deutlich erkannt. Ich habe nicht darauf geachtet, ob sie sich zusammen mit uns anderen zurückgezogen hat. Bist du sicher, daß sie nicht verwitwet ist?«
»Sie war nie verheiratet. Was also hatte sie dort zu suchen?
Wenn man die Ereignisse jener Nacht betrachtet, tauchen allerlei Abweichungen von der Norm auf. Wie du sehen wirst, sind es eben diese Abweichungen, die sich als wichtig erweisen, wenn man die Taten von ruchlosen Männern untersucht.«
»Das dachte ich mir schon«, sagte sie ziemlich kühl. Offenbar dozierte ich wieder Binsenweisheiten.
»Ich denke, es ist vielleicht an der Zeit, sich ein wenig mit Fausta zu beschäftigen«, sagte ich. »Es sollte nicht schwer sein, die anderen Damen zu animieren, über sie zu tratschen - sie ist ohnehin der Mittelpunkt von allerlei Klatsch. Versuche herauszufinden, ob sich jemand daran erinnert, daß sie sich in jener Nacht verdächtig benommen hat.«
Julia lächelte wieder. »Das werde ich tun.«
»Aber sei vorsichtig. Irgend jemand läuft in der Stadt rum und tötet Menschen ungeachtet ihres Geschlechts oder Standes. Den Gedanken, daß du sein nächstes Opfer sein könntest, finde ich furchtbar. Oder auch sein übernächstes.«
»Ich werde sehr diskret vorgehen. Was wirst du jetzt tun?«
»Gefährliche und dumme Sachen«, versicherte ich ihr.
»Gewalttätigen und ehrgeizigen Männern hinterherspionieren, Mörder suchen, die bei der Erledigung ihrer Opfer eine einzigartige Technik anwenden, so in der Richtung.« Ich fing an, mich richtig heldenhaft zu fühlen.
»Dann paß gut auf dich auf. Du bist einzigartig, und die Republik kann es sich kaum leisten, dich zu verlieren.«
Da konnte ich ihr nicht widersprechen, verbot mir jedoch bescheiden, diese Tatsachenfeststellung zu bestätigen. Sie verabschiedete sich und stieg die Stufen des Tempels hinab. Ich wartete im Schatten des Portikus, bis sie außer Sichtweite war.
Erst jetzt, viel zu spät, wurde mir klar, wie gefährlich es für sie war, in meiner Gesellschaft gesehen zu werden. Ich ließ meinen Blick über das Gelände wandern, aber es war zwecklos. In Rom gibt es von jedem Blickwinkel aus mehr Gassen, Fenster, Labyrinthe, Dächer und andere Verstecke, als das menschliche Auge auf die Schnelle erkennen kann.
Als Julia verschwunden war, verließ ich den Tempel und ging durch die rasch dunkler werdenden Straßen der Stadt. Ich schlüpfte mit beiden Händen unter meine Tunika, als ob ich sie wärmen wollte, griff aber in Wirklichkeit nach meinen Waffen.
Während ich so ging, dachte ich
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