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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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anzutreffen. Und ich dachte, Vorfahren seien definitionsgemäß verstorben.»
    «Sie haben recht. Ich bin alt, aber noch quicklebendig, wenn Sie schlechten Witz erlauben. Ich bin halbfertiger Vorfahr. Mein Sohn Fuma, Erstgeborener von Dynastie, hat mich aus China hergebracht, mit Erlaubnis von General Tat, um Vorfahr in Geschäft zu haben. Haben Sie Vorfahr in großem Damensalon?»
    «Nein, das würde mir grade noch fehlen.»
    «Oh. Vielleicht Nachfahren.»
    «Auch nicht.»
    «Ich bin in Gefühl mit Ihnen. Vorfahren und Nachfahren sind wichtig. Vergangenheit und Zukunft. Ohne Vergangenheit und Zukunft ist alles Gegenwart, und Gegenwart ist flüchtig.»
    Er schloss die Lider und setzte einen heiteren Ausdruck auf, begleitet von einigen Schnarcherchen. So fand uns Lin Fuma vor, der einen etwa zehnjährigen Jungen hinter sich herzog, welcher damit beschäftigt war, Schokoladeneis über seine ganzen Kleider zu verteilen.
    «Verzeihen Sie», murmelte Lin Fuma, «ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, dass mein Vater im Laden ist. Ich hoffe, er ist Ihnen nicht auf den Geist gegangen. Er hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel und außer mir niemand, mit dem er sich unterhalten kann. Manchmal lässt ihn sein Kopf im Stich, und aus diesem Grund mochte ich ihm den Laden nicht anvertrauen.»
    «Keineswegs», rief ich, «er hat mich überhaupt nicht genervt. Wir haben uns im Gegenteil auf sehr hohem Niveau unterhalten. Ehrlich gesagt die östliche Philosophie ist auf derselben Höhe wie die übrige östliche Produktion.»
    Mit dieser und ähnlichen Höflichkeitsbekundungen verabschiedeten wir uns. Als ich wieder in den Salon kam, war das Sandwich, das ich fast unberührt zurückgelassen hatte, ein lehrreiches Terrarium geworden. Es blieb mir nichts anderes übrig, als das belebte Objekt mit einer Zange zu packen und draußen in den nächsten Container zu werfen. Dann ging ich zurück und ließ die Minuten in immer langsamerem Rhythmus verstreichen. Am Ende des Tages hatte sich dem Hunger und der Langeweile die betrübliche Überzeugung beigesellt, dass ich es nie aus dem klumpigen Morast herausschaffen würde, in dem ich steckte. Ich wollte eben schließen und nachschauen gehen, ob im Container noch etwas von dem Sandwich übrig war, als Señor Lins Sohn mit etwas Eingepacktem hereinkam. Mit einer tiefen Verbeugung flötete er:
    «Hallo, Kumpel. Ich bin Lin Quim, Sohn von Lin Fuma, fleißiger Schüler während des Schuljahrs und in Schulfreizeit wackerer Schwimmlehrling. Es schicken mich mein Vater, meine Mutter und mein ehrwürdiger Großvater, um Ihnen ein kleines Zeichen unserer bescheidenen Dankbarkeit zu überreichen.»
    Er übergab mir das Paket und rannte davon. Als ich es öffnete, stieß ich auf ein nahrhaftes Menü, bestehend aus Krabbenchips, Wan Tan, gebratenen Nudeln mit drei Sorten Fleisch und einer Scheibe Wassermelone. Noch bevor ich Zeit hatte, gerührt zu sein, hatte ich schon alles verschlungen. Es war erlesen. Danach schloss ich mit neuer Kraft und gestärktem Gemüt den Salon und beschloss, mich wie so oft im Laufe meines Lebens an meine Schwester zu wenden.

5
DER GEHEIMNISVOLLE BESITZER
EINES PEUGEOT 206
    Ungeachtet der üblen Wirtschaftslage lebten Cándida und ihr Mann mit einer gewissen finanziellen und räumlichen Behaglichkeit, die sich aus dem Ableben der Mutter des letzteren drei Jahre zuvor ergeben hatte, ein Tod, der die beiden von vielen Lasten und Sorgen befreit und es ihnen erlaubt hatte, endlich wieder ein Schlafzimmer zu haben und das Schild Vorsicht bissiger Hund von der Tür zu nehmen. Der schmerzliche Verlust hinderte sie nicht daran, weiterhin die Pension der Verstorbenen sowie Kindergeld und ein Stipendium für Studien an der Fakultät für Fernmeldewesen im Rahmen des Programms für Erwachsenenbildung zu kassieren. Dank diesen kleinen Kniffen konnte mein Schwager auf der faulen Haut liegen, und meine Schwester war von der Straße weggekommen.
    Cándidas Pensionierung hätte für sie eigentlich ein Born der Freude sein müssen, doch dem war nicht so. Beharrlich, aber mit wenig Erfolg hatte sie seit ihrer Kindheit die Straßenprostitution ausgeübt, und obwohl ihr das mehr Gespött als Lobeshymnen und mehr Prügel als Trinkgeld eingetragen und sie einen ganzen Katalog von Krankheiten aufgelesen hatte, nicht nur venerischer, sondern auch anderer Natur, wie Skorbut, Kataplexie, Aerophagie, Fußgicht, Beriberi, Typhus, Maul- und Klauenseuche, Kretinismus, Gelbfieber und mehrere Pilze,

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