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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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stürzte sie das plötzliche Fehlen ihrer jahrzehntelangen täglichen Arbeit in eine Depression, wie sie mit vielen Pensionierungen einhergeht. Dazu trug nicht wenig bei, dass die Stammkunden des Sektors, sowie sie von ihrem Ruhestand erfuhren, ein großes Fest mit Champagner und Feuerwerk organisierten, was ihr in der Seele wehtat. Weder ihr Mann noch ich unternahmen etwas, um ihr aus der sich daraus ergebenden Niedergeschlagenheit herauszuhelfen, denn war sie in euphorischem Zustand ein Nichtsnutz, so sagte sie als Deprimierte wenigstens nichts. Mit bewundernswerter Beharrlichkeit manövrierte sie sich aus dieser unangenehmen Lage selbst heraus, indem sie in der Religion Trost suchte. Unablässig ging sie zur Messe, machte drei- und neuntägige Andachten, und es gab keine heilige Zeremonie oder Prozession, zu der sie nicht ihren unreinen Gesang, ihre Hässlichkeit und ihren Gestank beigesteuert hätte. Wir ließen sie gewähren, bis der Hilfsgeistliche der Kirchengemeinde ihren ofenfrischen Fanatismus und ihre angeborene Unterwürfigkeit ausnutzte und sie das Pfarrhaus scheuern, seine Priestergewänder ebenso wie seine weltlichen Kleider, die des Fitnesscenters eingeschlossen, waschen und bügeln ließ und ihr mannigfaltige andere Dienstleistungen abverlangte, über deren Charakter sie uns weder informierte noch wir sie befragten. Später begann er für Heiligenbildchen und Medaillen Geld von ihr zu nehmen, und schließlich verkaufte er ihr einen Zahn von Johannes XXIII . für die exorbitante Summe von fünfzig Euro. Am nächsten Tag lauerten ihm mein Schwager und ich vor der Pfarrkirche auf, zerrten ihn in einen dunklen Hauseingang und sagten ihm, wenn er Cándida noch einmal behellige, würden wir ihm die heilige Lanze in den Hintern bohren. Der Kerl begriff die Botschaft, und von einem Tag auf den anderen war der naiven Betschwester die Kirchentür kommentarlos verschlossen. Ohne geistigen Führer und ohne Geld für fromme Werke sah sie sich gezwungen, ihrer Gläubigkeit auf ihre Art und mit ihren Mitteln die Zügel schießen zu lassen, bis man sie eines Tages in der Kathedrale dabei erwischte, wie sie vor dem Altar der heiligen Rita Fürze anzündete, und ihr den Zutritt zu sämtlichen Kirchen und sakralen Räumen der Christenheit verwehrte. Ich glaube, nachdem sie es mit den Evangelisten und den Zeugen Jehovas versucht hatte, praktizierte sie jetzt den Animismus. Müßig zu sagen, dass mit diesen Erfahrungen ihre Vernunft nicht größer, ihre Intelligenz nicht schärfer und ihr Charakter nicht besser geworden war.
    «Ich habe bereits gegessen», rief ich zur Begrüßung, als ich sie ein Bügeleisen schwingen sah, um es mir an den Kopf zu wuchten. «Ich bin bloß gekommen, um mich nach deinem Ergehen zu erkundigen und Viriato zu sehen, mein Vorbild im Leben.»
    Feist, flegelhaft und verschwitzt erschien auf meinen Lockruf und die Schmähungen seiner Gattin hin der Genannte auf der Bildfläche.
    «Nur hereinspaziert! Wie schön!», sagte er mit schlecht geheuchelter Jovialität. «Und wie läuft das Geschäft? Na, na?»
    «Wie nie zuvor», antwortete ich zweideutig. Der Damensalon gehörte ihm, und damit er den Laden nicht verkaufte und mich auf die Straße setzte, präsentierte ich ihm immer eine glänzende Bilanz, obwohl der Salon mit einer Hypothek belastet, die Möbel und Gerätschaften verpfändet und die eingetragene Firma hoffnungslos bankrott war. «Dessen ungeachtet», fügte ich sogleich hinzu, «könnte eine kleine Kapitalerhöhung angesichts der aggressiven Konkurrenz nicht schaden.»
    Nach harten Verhandlungen lieh mir der elende Kerl vierzig Euro zu einem Wochenzins von fünfundzwanzig Prozent. Es war nach neun Uhr, als ich endlich keuchend beim Dandy Morgan ankam, der mich versteinert erwartete. Ich hatte angenommen, er sei, wegen meines langen Ausbleibens verärgert, unnachgiebig bei der Entlohnung, doch zu meiner großen Überraschung winkte er grüßend mit dem Zepter, sprang vom Podest und gab zu, eine die optimistischsten Vorhersagen übertreffende Summe eingenommen zu haben.
    «Am Anfang haben sie mich scheel angesehen», sagte er und verwahrte seine Kleidung in einem Bündel, bis er in Tangas dastand, «aber dann haben sie offenbar gedacht, ich hätte mich hier aufgepflanzt, weil das Viertel in Mode komme, und haben einen Adrenalinstoß bekommen. Arme Leute.»
    «Du ahnst ja nicht, wie mich das freut. Ist irgendwas Interessantes passiert?»
    «Überhaupt nicht. Wie am Vormittag. Ein wenig

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