Der Friseur und die Kanzlerin
diese Adresse mal in Augenschein nehmen würdest. Heute Nachmittag kommst du her und erstattest mir Bericht. Aber mach bloß nicht wieder was verkehrt. Nur schauen, von außen.»
Zielstrebig ging sie davon. Ich baute nicht groß auf den Nutzen ihrer Information, hielt es aber für richtig, sie ein wenig arbeiten zu lassen. So wenig Erfahrung sie in diesen Dingen auch hatte, so wenig schien sie auf den Kopf gefallen.
Kurz vor Mittag, als es in meinem Gedärm schon eine Weile knurrte, trat eine junge Frau in den Salon, nicht sehr groß, von stämmiger Konstitution, mit regelmäßigen Zügen und entschlossenem Gesichtsausdruck. Sowie ich mit dem Kittel wie ein Stierkämpfer zu wedeln begann, hob sie die Hand und sagte mit sarkastischem Unterton:
«Rühr dich, Meister. Ich komme aus einem anderen Grund.»
«Wir können uns unterhalten, während ich wasche und einlege», deutete ich an, um Zeit zu gewinnen, denn mittlerweile wusste ich bereits, mit wem ich es zu tun hatte. Sie zog ein Foto aus der Innentasche der Lederjacke und hielt es mir vor die Nase. Es war das Bild eines Mannes, der mir unbekannt erschien, vor allem ohne Brille.
«Kennst du den? Hast du ihn gesehen?»
«Weder das eine noch das andere. Ich geh wenig aus. Wer ist es?»
«Ich frage, du antwortest.»
«Ich wollte nur helfen.»
«Jetzt betrachtest du das Foto noch mal und strengst dein Hirn an. Ich zähle bis fünf, und dann kriegst du eine gepfeffert. Vier und fünf, voilà.»
Sie langte mir eine. Da ich diesen Scherz längst kannte, drehte ich den Kopf gerade so weit weg, dass die Ohrfeige nicht mitten in meinem Gesicht landete.
«Wenn ich ihn gesehen hätte, würde ich es Ihnen sagen», sagte ich. «Wenn Sie sich meine Akte anschauen, werden Sie sehen, dass ich immer kooperativ war.»
Sie legte das Foto auf die Konsole und grinste mich schief an.
«Ich habe nachgelesen, was Kommissar Flores, Gott hab ihn selig, über dich geschrieben hat.»
«Gott hab ihn in alle Ewigkeit selig. Ich hatte die Ehre, mit Kommissar Flores in mehreren Fällen zusammenzuarbeiten. Das waren natürlich noch andere Zeiten. Jetzt haben sich die Methoden verändert.»
«Mach dir keine Illusionen.»
«Darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen? Um Ihnen den Respekt und Gehorsam entgegenzubringen, die ich seinerzeit dem beweinten Kommissar Flores im Übermaß zukommen ließ.»
«Für dich Unterinspektorin Saulaune.»
«Soll ich Ihnen wirklich nicht die Spitzen schneiden, Unterinspektorin? Pflicht und Mut schließen Ästhetik nicht aus. Und es ist umsonst.»
Ich las Unschlüssigkeit in ihren Augen. Wenige Menschen können einem solchen Angebot widerstehen.
«Würde es lange dauern, mir den Schopf in Ordnung zu bringen? Ich bin um zwei zum Essen verabredet.»
«Wir sind im Handumdrehen fertig. Sie haben sehr leicht formbares, hochwertiges Haar und benötigen keine Wässerchen. Machen Sie es sich bequem. Wenn Sie wollen, verwahre ich Ihnen die Knarre im Hinterzimmer.»
Sie schlüpfte aus der Lederjacke und hängte sie an den Garderobenständer. Im T-Shirt verlor sie an Autorität, gewann aber an Attraktivität. Statt unter der Achsel trug sie die Pistole am Steiß, zwischen Rock und Schlüpfer. Sie legte sie ebenfalls auf die Konsole, neben das Foto.
«Wenn du mir eine Ecke reinschneidest, landest du im Kittchen.»
«Nur keine Sorge. Warum wird er gesucht? Der vom Foto.»
«Das geht dich einen feuchten Kehricht an.»
«Trotzdem wollten Sie doch von mir wissen, ob ich ihn kenne. Was wäre denn die Verbindung, falls es eine gäbe?»
«Wir sind erst am Anfang der Ermittlungen. Wir dürfen keine Schlüsse vorwegnehmen.»
«Wohl aber mit Hypothesen arbeiten, wie Kommissar Flores immer sagte, der uns jetzt vom Himmel herab zuschaut. Gehen wir der Reihe nach vor, wenn Sie gestatten. Ich bin ein ehrwürdiger Friseur. Und dieser Typ, was ist der?»
«Das wirst du zu gegebener Zeit erfahren. Und was für eine Rolle du spielst, das entscheiden wir. Im Moment aufgepasst! Ich werde das Foto hierlassen – vielleicht hilft es deinem Gedächtnis ja auf die Sprünge, wenn du es dir noch einmal anschaust. Und meine Handynummer.»
Sie stand auf, nahm die Lederjacke von der Garderobe, zog eine Visitenkarte heraus und reichte sie mir. Ich versuchte sie gar nicht erst zu lesen, um meine Dioptrien nicht zu verraten, sondern legte sie zum Foto auf die Konsole. In diesem Augenblick schlüpfte etwas in den Salon, was wie eine Mülltüte in Pantoffeln aussah, und
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