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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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vage, indem ich bloß die Costa Brava erwähnt hatte, eine irrelevante Angabe für jemanden, der aus so fernen Landen kommt, dass ihm die lokalen Ortsnamen am Allerwertesten vorbeigehen. Ich hätte die Unterinspektorin oder den Dandy Morgan oder Quesito anrufen sollen, ehe ich den Bus bestieg. Aber ich hatte es nicht getan, und jetzt befand ich mich in den Händen von jemandem, dem meine Haltung offensichtlich lautes Gelächter entlockte.
    «Aber was machen Sie denn da, Mann?», hörte ich ihn sagen, als der Lachanfall verebbt war und er sich wieder artikulieren konnte.
    «Was Sie mir gesagt haben: die Hände hochhalten.»
    «Nein, Mensch! In meinem Land heißt Hände hoch so viel wie: Geil, Kumpel! Oder Geben Sie mir Ihre Hand! Oder sogar Lassen Sie uns diese Begegnung mit einer freundschaftlichen Umarmung feiern! Und entschuldigen Sie die Verspätung: Dieser Schuft von Rebollo hat mir die längste Zeit eine Standpredigt gehalten.»
    Ich senkte die Arme, wandte mich um und stand Jesusero gegenüber. Er trug nicht mehr die Kellneruniform, sondern einen schmutzigen, abgerissenen Trainingsanzug und nannte sich auch nicht mehr Jesusero, wie er erklärte:
    «Mein richtiger Name ist Juan Nepomuceno. Und ich bin nicht aus Cochabamba. Ein gewisser Jesusero, der tatsächlich aus Cochabamba stammt, hat mir seinen Job für ein Drittel des Lohns untervermietet, den man ihm bezahlt hätte, wäre er der erste Gehaltsempfänger gewesen und nicht der zweite oder dritte, der er war. Die Hoteldirektion brauchte einen armen Teufel zum Schikanieren, und es ist ihr völlig egal, ob der eine oder der andere kommt. Sie zahlen die vereinbarte Summe und fragen nicht. Ihnen erzähle ich das, weil Sie ein Freund sind. Ich stamme aus einem Dorf in der Nähe von Cochabamba. Nur drei Wegtage, wenn man nicht vorher den Steilhang runtersaust. Mein Dorf liegt auf dem Gipfel der Anden. So hoch, dass man hinschauen kann, wo man will, und nichts sieht. Wir sind bloß ein paar ausgehungerte Indios und eine Lamaherde. Die Lamas fressen Unkraut und taugen einen Dreck. Lahm eben und hässlich wie nur etwas. Mit ihrer Wolle haben sie schon was zu bieten, aber sowie man sie schert, sehen sie aus wie ein Lammfötus. Spucken ist das einzige Talent, das Gott ihnen geschenkt hat, und sie wenden es auf den Erstbesten an, der ihnen über den Weg läuft. Im unerwartetsten Moment kriegst du eine Ladung Spucke ins Genick. Das macht ihnen Spaß. Als Kinder haben wir die Technik gelernt, indem wir ihnen beim Spucken zugeschaut haben. Da es keine Schulen gab, haben wir nichts anderes gelernt, das dafür gründlich. Sehen Sie diesen Herrn im blauen Hemd neben dem Grill? Von hier aus könnte ich ihm in den Mojito spucken. Aber ist das zu irgendwas gut, was meinen Sie?»
    Ich wusste nicht, was ich auf seine Frage antworten sollte und ob er mich herbestellt hatte, um mir seine Nöte zu erzählen und sich mit seinen Fähigkeiten zu brüsten.
    «Das Vergnügen, etwas gut gemacht zu haben, ist die beste Entschädigung», sagte ich, um ihn nicht zu kränken.
    «Ja, wenn man Geld hat», erwiderte Juan Nepomuceno. «Aber ich will nicht klagen. Ich habe eine vorübergehende, schlecht bezahlte Arbeit. Dort hatte ich nicht mal das. Da gab es nur Hunger und Kälte. Eines Tages hatte ich es satt und ging, zu Fuß und ohne zurückzublicken. Der Vorteil, wenn man auf dem Gipfel der Anden lebt, ist, dass man immerzu hinuntergeht. Natürlich nur, solange es einem nicht einfällt umzukehren. Sie leben in Hollywood, nicht wahr?»
    Dieser Beweis von Leichtgläubigkeit gab mir den Glauben an die Menschheit zurück. Ich machte eine vage Handbewegung und sagte:
    «Ich bin sehr oft in Barcelona. Geschäftlich.»
    «Logisch, logisch», nickte Juan Nepomuceno und rieb sich die Hände. Seinem Ausdruck war zu entnehmen, dass er da war, wo er hatte hingelangen wollen. Er lächelte, entblößte dabei große weiße Zähne und sagte: «Ich liebe Filme. Als Kind habe ich nie einen gesehen. In meinem Dorf gab es kein Kino. Von so was hatten wir nicht einmal gehört. Wie sollte es ein Kino geben, wo wir keinen Strom hatten? Erst als Jugendlicher habe ich meinen ersten Film gesehen. In einem Nachbardörfchen, beim Fest des Schutzheiligen. Auch die hatten keinen Strom, aber sie hatten ein Stromaggregat gebracht, Sie wissen schon, und zwischen zwei Pfosten ein Laken gespannt. Einige Kumpel gingen tanzen, um Mädchen kennenzulernen. Irgendwann hat man die Lamas satt. Ich ging mit den anderen Jungs, aber

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