Der Friseur und die Kanzlerin
dass mein Stoffwechsel angesichts dieses großartigen Weibes durcheinandergeriet. Hätte sie sich so provokativ verhalten wie beim vorigen Mal, ich hätte keine Verantwortung für mein Tun übernehmen können. Zum Glück sah ich im Spiegel das gewohnte Bild meiner Person, etwas verschönert durch ein beim Strandspaziergang am Vortag gerötetes Riechorgan. Auch Verhalten und Absichten der betreffenden Person waren ganz anders, wie sie mir ohne Umschweife selbst zu verstehen gab.
«Du bist ein gottverdammter Dreckskerl!», krähte sie zur Begrüßung.
«Schließen Sie bitte die Tür, wenn jemand Sie hört, denkt er womöglich, Sie seien eine unzufriedene Kundin – man hat schließlich einen Ruf zu verlieren.»
Sie machte die Tür zu, mäßigte aber weder Verhalten noch Sprache.
«Ich war nett zu dir, sogar allzu nett, wie die Dolores aus dem Lied, und du vergiltst es mir damit, dass du dich benimmst wie ein gottverdammter Dreckskerl.»
Ich bat sie, sich zu beruhigen und mir die Gründe für ihren Stimmungsumschwung darzulegen, wo sie mir doch zwei Tage zuvor eine ganz andere Facette ihrer wandlungsfähigen Persönlichkeit gezeigt habe.
«Vorgestern», sagte sie, «hat ein Mann den Swami aufgesucht und ihm auf unflätigste, grausamste und ungerechtfertigtste Art die Hölle heißgemacht. Und seit gestern folgt mir überallhin eine Verrückte mit ihrem Akkordeonspiel. Sag nicht, dass nicht du dahintersteckst.»
«Es stimmt», antwortete ich, «ich habe dem Yogazentrum einen Besuch abgestattet und bezüglich meiner Identität ein wenig geflunkert, um aus einer vorteilhaften Position heraus sprechen zu können. Andernfalls hätte mir Ihr Freund, der Swami, die Tür vor der Nase zugeknallt. Lügen ist nicht gut, aber das hier ist kein Räuber-und-Gendarm-Spiel. Und Sie waren es, die mit Lügen begonnen hat, als Sie bei sich zu Hause bestritten, dass Romulus der Schöne verschwunden ist. Und jetzt ist er noch immer verschwunden, die Polizei sitzt uns im Nacken, und in dieser ganzen Verwirrung erscheint immer wieder die Person des Swami, auffällig und verdächtig. Wenn es Sie stört, dass diese undurchsichtige Figur Gegenstand meiner Ermittlungen ist, und Sie sich von meinen Agenten befreien wollen, dann erzählen Sie als erstes einmal die Wahrheit, und zwar mit allen Details.»
«Na gut», sagte Lavinia in weniger heftigem, eher müdem Ton, «das werde ich. Aber halten wir den Swami aus dem Gespräch und überhaupt aus der Geschichte raus. Er ist ein guter Mensch.»
«Und ein Schwindler», sagte ich, um meinen Vorsprung nicht einzubüßen. «Fahren Sie fort.»
«Es wäre mir lieber, du würdest mich duzen, umso mehr, als ich dir mein Herz öffnen und dir intime Aspekte meines Lebens preisgeben soll. Uns verbindet mehr, als uns trennt», fügte sie hinzu und trat gefährlich nahe zu mir hin, «und ich habe nichts getan, was deine Missbilligung verdiente. Wenn ich die Opferhaltung nicht verabscheute, würde ich mich, ohne zu zögern, als Opfer bezeichnen. Setzen wir uns, und ich erzähle dir meine Geschichte. Würde es dir was ausmachen, die Klimaanlage einzuschalten?»
«Du beliebst wohl zu scherzen, Kindchen?», antwortete ich, und auf der Stelle tat es mir leid, das Duzen und alles, was es an Vertrauen und Harmonie mit sich bringt, mit einem so unromantischen Satz begonnen zu haben. Also fügte ich sogleich hinzu: «Aber wenn dir warm ist, können wir in ein Lokal gehen. Meine Kundinnen kommen normalerweise erst später, und im Café gleich gegenüber gibt’s bis elf für 1,35 einen Milchkaffee und ein Chorizosandwich.»
«Ich bin schön und wohlgestaltet geboren worden», sagte sie, nachdem sie meinen verlockenden Vorschlag mit einer angeekelten Grimasse abgelehnt hatte, «und bin es zu meinem Unglück immer gewesen. Geblendet von den dauernden Schmeicheleien und den Privilegien, die mir meine Schönheit eintrug, vernachlässigte ich meine Grundschulausbildung. Am Ende der Schulzeit konnte ich kaum lesen und schreiben. Als ich Arbeit suchte, hatte ich mehrere Chancen, mir den Unterhalt mit Herumgammeln zu verdienen, aber ich lehnte sie ab. Ich bin nicht aus diesem Holz geschnitzt und weiß, wie die enden, die sich vom leicht verdienten Geld blenden lassen. Schließlich wurde ich Empfangsdame in einer Autoreparaturwerkstatt. Ich bediente das Telefon, empfing die Kunden und führte die Buchhaltung. Ich mag Autos, bin unkompliziert, und die Buchhaltung bestand darin, die Rechnungen und Quittungen aufzubewahren
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