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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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gelang es ihm, etwas Verständliches zu erzählen, dem ich Folgendes entnahm: Die vollzählige Familie Lin und der Swami befanden sich seit zwei Stunden am Strand, tummelten sich im Wasser und genossen die übrigen Anreize des Ortes, als sie bemerkten, dass Großvater Lin, den sie mit einem Calippo-Eis in einen Liegestuhl gesetzt hatten, damit er sich beim Betrachten der Badenden unterhalte und sie selbst in Frieden lasse, Symptome von Dehydration zeigte. Um ihr entgegenzuwirken, warfen sie ihn schwungvoll ins Wasser. Er versank, und als er unter einer Quallenschicht wieder an die Oberfläche kam, wies er alle Symptome eines Ertrunkenen auf. Nach einer kräftigen Brustmassage spuckte er zwar das geschluckte Wasser wieder aus, bekam aber eine Verdauungsstörung. Unterwegs zum Häuschen des Roten Kreuzes fiel er hin und brach sich den Oberschenkelknochen. Umgeben von der Fürsorge der Seinen, rang er jetzt im Klinikum mit dem Tod.
    «In seinem Delirium hat sich der Ärmste nach Ihnen erkundigt», sagte der Swami. «Ich glaube, Sie sollten hingehen und sich seine letzten Idiotien anhören. Aus humanitären Gründen fahre ich Sie umsonst in meinem Wagen.»
    Ich willigte ein unter der Bedingung, dass er mich vor dem Eingang der Klinik absetze und dann schnurstracks den Dandy Morgan vom Flughafen abhole. Dann sollten beide ins Restaurant Hund zu verkaufen gehen, dessen Adresse der andere kannte, und dort mit dem Rest der Gruppe auf mich warten. Nach meiner guten Tat würde ich zu ihnen stoßen.
    ***
    Der Tourist, der Barcelona im Sommer besucht, tut gut daran, auf seinen Spaziergängen die Notfallstation des Klinikums weiträumig zu umgehen, wenn er sie nicht unbedingt selbst braucht. Im August war nicht nur der größte Teil des Pflegepersonals im Urlaub, sondern im Urlaub waren ebenso die Patienten der Mittelklasse und Oberschicht, die sonst das Jahr über das ästhetische Niveau des Krankenhauses durch eine gekonntere Art im Umgang mit Schicksalsschlägen hoben. Jetzt aber drängten und drängelten sich in Wartezimmern, auf Korridoren und Treppen Personen so niedriger Herkunft, dass sie schon als Gesunde krank und gelähmt schienen, von Leiden oder Missgeschick ereilt, jedoch vollends wie Ruinen wirkten.
    In einer düsteren, verlorenen Krümmung des Labyrinths von Gängen, in denen sich Patienten teils ganz, teils in Stücken bewegten, fand ich die Familie Lin um eine leere Pritsche herum versammelt. Ich nahm an, Großvater Lin sei ohne weitere Formalitäten eingeäschert worden, aber sie sagten mir, er sei in den Operationssaal gebracht worden, wo er in ebendiesem Moment ohne allzu große Hoffnungen auf Erfolg operiert werde.
    «Papi liegt in den letzten Zügen», sagte Señor Lin, während er mir die Hand gab.
    «In diesem Fall», sagte ich, «wird es Ihnen nichts ausmachen, mir nochmals etwas Geld für den Trupp zu leihen.»
    Señor Lin runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf und sagte:
    «Hum. Der Laden ist geschlossen, und der Geldschrank hat eine Diebstahlsicherung, die nur ich deaktivieren kann. Wenn Sie einen draufmachen wollen, werden Sie bis morgen warten müssen.»
    «Darum geht es nicht, Señor Lin, sondern um etwas Wichtigeres.»
    «Hum», wiederholte er. Und nach einer weiteren Denkpause fügte er hinzu: «Sehen Sie, ich weiß nicht genau, was Sie vorhaben, aber trotz meiner ethnischen Herkunft lasse ich mich nicht so leicht täuschen. Sie sind in irgendwas verstrickt. In etwas Ernsthaftes. Und wenn wir in einer fernen Zukunft Partner sein wollen, aus freien Stücken oder gezwungenermaßen, wäre es vielleicht ganz gut, wenn Sie mich über die Situation aufklären würden, über die Ihre und die Ihres Lokals, heute bescheidener Friseursalon, bald großes Restaurant. Das sage ich nicht mit der Überheblichkeit dessen, der die Mehrheitsanteile eines Unternehmens hat, sondern geleitet von einem gesunden Sinn für Kollegialität. Ganz offensichtlich sind Sie ein armer Schlucker, der nach Höherem strebt, aber ich, obwohl ich es besser tarne, stamme ebenfalls nicht von Mandarinen ab. Wir sind beide in sehr ähnlichen Straßen groß geworden, wenn auch auf verschiedenen Kontinenten, und es wäre absurd, wenn uns jetzt noch eine Große Mauer trennte.»
    Er hatte recht, und als uns eine Stunde später ein offensichtlich unerfahrener Chirurg mitteilte, man habe Großvater Lin unnötigerweise die Gallenblase entfernt, wodurch sich der Allgemeinzustand des Patienten sehr verschlechtert habe, und in Erwartung eines

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