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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Mendoza
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nächsten beim Passagierausgang befanden, und wählten für unser Vorhaben das Behinderten-WC, größer und weniger frequentiert als die anderen. Ich riegelte ab, und der Dandy Morgen schlug das Bündel auseinander, um seine königlichen Gewänder auszubreiten. Als Cándida sie erblickte, stieß sie einen lauten und bewundernden, von reichlicher Speichelbeigabe begleiteten Pfiff aus. Mit einer strengen Ermahnung unterband ich frivole Äußerungen.
    «Lass diese Dummheiten, und zieh dich an. Die Deutschen sind Pünktlichkeitsfanatiker. Wenn Frau Merkel gesagt hat, sie kommt um neun, kommt sie auch um neun, selbst wenn die Welt untergeht. Und bis dahin müssen wir bereit sein.»
    Direkt über den Trainingsanzug, den sie nie wieder zurückzubekommen fürchtete, wenn sie ihn meiner Obhut anvertraute, schlüpfte sie in ihre Prachtgewandung. Dann setzte ihr der Dandy Morgan die Korkenzieherlockenperücke mit der Kartonkrone auf und behängte sie mit den spektakulären Klunkern.
    «Wird man Fotos von mir machen?», fragte sie, nachdem sie im Spiegel ihre Galionsfigur betrachtet hatte.
    «Fotos?», sagte ich. «Du wirst in sämtlichen Medien erscheinen, Cándida! Nach dem heutigen Tag wirst du dir die Hand brechen vor lauter Autogrammen, die du auf der Straße geben musst. Aber denk genau an das, was ich dir gesagt habe: Diskretion und Zurückhaltung.»
    «Du kannst dich auf mich verlassen – ich bin als Künstlerin geboren. Wie soll die Señora heißen, die ich jetzt bin?»
    «Angela Merkel.»
    «Ist ja toll – könnte es nicht die Kaiserin Sisi sein? Die ist bekannter.»
    «Okay. Du denkst also, du bist Sisi, aber sag es keinem. Bloß lächeln und winken, keine Faxen und Getue. Und mach den Mund nicht auf. Frostigkeit gehört zur königlichen Würde.»
    «Und wenn ich eine Ansprache halten soll?»
    «Dann erzählst du ihnen die Geschichte mit dem Erzbischof von Tudela. So, genug geschwätzt. Ich schau mal, wie’s da draußen aussieht.»
    Ehrlich gesagt war es mir ziemlich egal, was Cándida sagte oder nicht sagte, die Täuschung musste ja nur kurze Zeit vorhalten. Ich wollte, um Angela Merkel zu retten, einfach die Zeit gewinnen, die verstreichen mochte, bis der Betrug entdeckt und Cándida verhaftet und mit der Strafe belegt würde, mit der das Gesetz den Austausch ausländischer Würdenträger sanktioniert. Schwerer wog das Delikt, das ich selbst zu begehen mich anschickte, nämlich eine so herausragende Persönlichkeit zu entführen, wenn auch nur vorübergehend und ohne Lösegeldforderung, aber ich vertraute darauf, Gnade zu erfahren unter Berücksichtigung meiner aufrichtigen Absichten und des enormen Nutzens, der sich aus meiner Tat für die Welt im Allgemeinen und das Prestige unserer Stadt im Besonderen ergäbe. Das Einzige, was mir im Augenblick Sorgen bereitete, war weniger die Schwierigkeit, den Austausch vorzunehmen, ohne dass es die Begleiter der illustren Frau Merkel merkten, sondern wie ich sie von den Vorteilen, bei der Entführung mitzuwirken, überzeugen sollte, teils weil ich über keine triftigen Argumente verfügte, teils weil ich diese, selbst wenn ich über sie verfügt hätte, schwerlich rasch und verständlich in einer mir unbekannten Sprache darlegen konnte. Diese Beunruhigung versuchte ich mit dem Gedanken zu verscheuchen, dass auch die bestentworfenen Pläne irgendwelcher Details entbehren, bei denen man gegebenenfalls improvisieren muss.
    Ich spähte vorsichtig aus der Behindertentoilette hinaus und glaubte Indizien zu erkennen, dass der große Moment näher rückte, obwohl für jemanden, der nichts von unseren Absichten wusste, in der Ankunftshalle das übliche Treiben ohne sichtbare Störungen seinen Gang zu nehmen schien. Der Juli hatte sich auf seinem Sockel kaum wahrnehmbar gedreht, bis er eine in der linken Ecke der Halle gelegene Seitentür im Visier hatte, zwischen einem Sportbekleidungsgeschäft und einem Zeitungs- und Zeitschriftenkiosk; auf der Tür stand zu lesen: KEIN ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE . In ihrer Umgebung tummelten sich, denkbar schlecht getarnt, mehrere Beamte in Zivil und einige junge Leute, welche die tadelnden Blicke der ersteren geflissentlich übersahen. Vermutlich waren es Journalisten, die, von einem Mittelsmann oder einer indirekten Quelle über den Ort informiert, wo das Gefolge demnächst hereinkommen würde, herumlungerten, um vielleicht ein Exklusivinterview oder wenigstens einen Schnappschuss zu ergattern. Quesito hatte ihren Tisch im Café verlassen und kam

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