Der Fromme Dieb
im Befehlston.
Erst als Cadfael sie verlassen hatte, um am Torhaus auf Hughs Erscheinen zu warten, richtete sie den Blick auf Bénezet. Warum diese sinnlosen Lügen? Gewiß, er mochte es vorziehen, daß andere Leute glaubten, sein kostbares Zaumzeug gehöre seinem Herrn und nicht ihm selbst, wenn er Grund hatte, sich vor zwar schmeichelhafter, aber nichtsdestoweniger lästiger Neugier zu schützen. Aber warum hatte er überhaupt eine Erklärung abgegeben? Warum sollte ein verschlossener Mann, der ständig mit Worten geizte, sie plötzlich für überflüssige Lügen vergeuden? Und zudem, noch aufschlußreicher vielleicht, er hatte den Weg zum Pferdemarkt ganz gewiß nicht zurückgelegt, um jenes Zaumzeug zu holen, ob es nun seines war oder das von Rémy. Warum also hatte er das behauptet? Um etwas anderes aus dem Stall zu holen?
Etwas, das er nicht vergessen, sondern ganz bewußt dort zurückgelassen hatte? Morgen würden sie nach Leicester aufbrechen. Wenn er also etwas im Stall versteckt hatte, etwas, das niemand sehen durfte, mußte er es ja heute wieder an sich nehmen.
Außerdem mußte dieses Etwas schon seit der Flutnacht dort versteckt gewesen sein, als mit dem Flußwasser das Chaos in die Klosterkirche eingebrochen war, als alles Kostbare an einen sicheren Ort hatte geborgen werden müssen, als Tutilo seinen geistreichen Diebstahl verübt hatte – denn geistreich war er, das gestand sie ein – und als der langsam keimende, aber todsichere Same des Mordes in die Erde gepflanzt worden war.
Eines Mordes, an dem Tutilo keine Schuld hatte. Den ein anderer begangen hatte. Einer, der Grund hatte, sich vor dem zu fürchten, was Aldhelm von jenem Abend alles hätte berichten können, wenn man seinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen hätte? Welchen anderen Grund hätte jemand gehabt haben können, einen harmlosen jungen Mann zu töten, einen Schäfer aus einem benachbarten Weiler?
Daalny fuhr ohne Eile mit ihrer Arbeit fort, da sie nicht die Absicht hatte, den Stall zu verlassen, solange Bénezet dort war.
Sie mußte ins Gästehaus zurück, um die kleineren Instrumente zu holen, verlor dabei aber so wenig Zeit wie möglich, ließ sich wieder in Sichtweite von Bénezet nieder und packte die Geräte sorgfältig ein. Der jüngere der beiden Knappen des Grafen kam neugierig herbei, um die sarazenische Ud zu bewundern, eine Laute, die Rémys Vater von einem Kreuzzug mitgebracht hatte.
Die Gegenwart des jungen Mannes lieferte Daalny einen willkommenen Grund für ihr Bleiben, und sie verzögerte ihre Arbeit, die sonst innerhalb einer Stunde beendet gewesen wäre. Die verschiedenen Flöten waren leicht zu tragen. Rebec und Mandola kamen in eigene gepolsterte Taschen, wobei der Bogen des Rebec besonders vorsichtig verpackt werden mußte.
Es ging schon auf Mittag zu. Graf Roberts junge Diener hatten all ihr Gepäck für den nächsten Tag fertig gestapelt und machten sich auf den Weg ins Gästehaus, um ihrem Herrn das Essen aufzutragen. Daalny zog die letzte Schnalle der Sattelrolle fest, in der die Flöten verstaut waren.
»Ich habe alles verpackt«, sagte sie. »Bist du mit dem Pferdegeschirr fertig?«
Bénezet hatte eine seiner eigenen Taschen, schon zur Hälfte gefüllt, herausgetragen und war dabei, einen Armvoll Kleider hineinzupacken. Was darunter war, dachte sie, mußte verstaut worden sein, während sie Rebec und Mandola aus dem Gästehaus geholte hatte. Als er ihr kurz den Rücken zukehrte, trat sie vorsichtig mit der Fußspitze gegen die leichte Wölbung des Leders, und etwas darin gab das dünnste und klarste aller Geräusche von sich, das Klirren von Münze auf Münze, sehr kurz nur, als wäre die Tasche so sorgfältig gepackt worden, daß ein Klimpern der Münzen kaum möglich war. Aber der Klang, den sie vernommen hatte, war eindeutig gewesen. Bénezet drehte den Kopf abrupt nach ihr um, aber sie hielt seinem Blick mit großen, unschuldigen Augen stand, als hätte sie nichts gehört, und sagte ruhig und gelassen: »Komm, laß uns essen.
Rémy sitzt mit Robert Bossu zu Tisch. Du brauchst ihm diesmal nicht aufzuwarten.«
Hugh hörte sich Cadfaels Geschichte an und drehte mit einem gequälten, halb belustigten, halb zornigen Lächeln das kleine Gebetbuch in den Händen.
»Ich bin für meine Grafschaft zuständig, aber hier im Kloster habe ich, wie du nur allzugut weißt, keine Befugnisse. Ich weiß, daß der Junge keinen Mord begangen hat, und habe ihm auch nie einen Mord zugetraut. Das Gebetbuch ist
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