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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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sind sich völlig sicher, was sie fortgetragen haben oder zumindest über das Muster der Umhüllung, die darumgewickelt war. Und Bruder Rhun und Bruder Urien sind sich ebenso sicher, womit sie den Schrein umwickelt und zugedeckt haben. Allem Anschein nach hat sich niemand an der Umhüllung zu schaffen gemacht. Die Last auf dem Altar wurde ausgetauscht, um dann in gutem Glauben in Sicherheit gebracht zu werden. Die Träger trifft keine Schuld.«
    »Nicht die geringste«, sagte Radulfus. »Der junge Mann hat seine Hilfe aus reiner Freundlichkeit angeboten, daran besteht kein Zweifel. Aber wie konnte das alles geschehen? Wer konnte es wünschen, und wer konnte die Tat ausführen, wenn er es wünschte? Bedenkt doch, Bruder Cadfael! Es war Hochwasser, jeder war wachsam, trotz aller Hoffnung während des Tages, und am Abend herrschte Not. Menschen bereiten sich auf eine plötzliche Bedrohung vor, doch solange sie ausbleibt, glauben sie nicht recht daran. Aber wenn sie dann hereinbricht – kann ihr dann mit Ruhe und Glauben begegnet werden, so wie es sein sollte? Im Dunkeln, im Durcheinander tut der schwache Mensch törichte Dinge. Besteht nicht doch die Möglichkeit, daß dies alles ein Versehen ist – oder gar ein dummer und übler Scherz?«
    »Wie kann von Dummheit die Rede sein«, erwiderte Cadfael entschieden, »wenn ein Stück Holz so bearbeitet wird, daß es der Größe und dem Gewicht des Reliquienschreins entspricht?
    Nein, das hier geschah mit Absicht. Wohl mit dem Ziel, dieses Haus zu demütigen, auch wenn mir nicht klar ist, warum und wer einen so schändlichen Groll hegen könnte. Eine Absicht aber steckt auf jeden Fall dahinter.«
    Cadfael hatte sich, bevor er den Abt aufsuchte, die Aussage Bénezets durch einen Zeugen bestätigen lassen – durch Bruder Matthew, der das Kopfende des Reliquienschreins nach oben getragen und sich mit den Fingern in den sich auflösenden Flachsfäden der Außennaht verfangen hatte. Prior Robert hatte zwar den Vorfall mit enormer Leidenschaft vorgetragen, dadurch aber die Last, wie Cadfael vermutete, mit großer Erleichterung in die Hände seines Vorgesetzten gelegt.
    »Und der Holzklotz«, sagte Radulfus, sich den Einzelheiten zuwendend, »stammt er nicht aus der Longner-Ladung?«
    »Longner hat zwar unter anderem abgelagertes Holz geschickt, aber keine Eiche. Das andere Holz war frisch geschlagen. Nein, dieses Holz wurde vor mehreren Jahren geschlagen und ist so trocken, daß es, in etwa wenigstens, dem Gewicht des Reliquienschreins entspricht. Es ist kein Geheimnis. Im Südteil der Krypta, unter dem Refektorium, liegt ein kleiner Stapel Bauholz, der vom letzten Umbau der Scheunen übriggeblieben ist. Ich habe nachgeschaut«, sagte Cadfael. »An einer Stelle wurde ein Klotz von der entsprechenden Größe entfernt. Man kann die Lücke deutlich erkennen.«
    »Und Ihr meint, er wurde erst kürzlich entfernt?« fragte Radulfus.
    »So ist es, Vater Abt.«
    »Dann ist es mit Absicht geschehen«, sagte Radulfus nachdenklich. »Mit Vorbedacht geplant, wie Ihr sagtet. Es fällt mir schwer, das zu glauben. Aber ich sehe auch keine Möglichkeit, daß es durch Zufall, durch irgendeine unglückliche Verquickung von Umständen hätte geschehen können. Ihr sagt, Urien und Rhun haben den Schrein kurz vor Mittag hergerichtet.
    Und was am späten Abend auf ihrem Altar zum Forttragen bereitlag, war dieser unbehauene Klotz. In der Zeit zwischen Mittag und Abend wurde unsere Heilige entfernt und durch dieses Ding hier ersetzt. Mit welchem Ziel, mit welcher bösen Absicht? Bedenkt doch, Cadfael! In den wenigen Tagen des Hochwassers hat fast niemand das Kloster verlassen, und ganz gewiß hat niemand eine so auffällige Last davontragen können.
    Irgendwo innerhalb unserer Mauern muß der Reliquienschrein verborgen sein. Jedenfalls sollten wir, bevor wir weitere Schritte unternehmen, jeden Winkel dieses Hauses und der anliegenden Gebäude durchsuchen.«
    Die fieberhafte Suche nach der heiligen Winifred währte zwei Tage und beanspruchte alle verfügbare Zeit zwischen den Andachten. Und als wäre die Ehre aller innerhalb der Klostermauern durch ihren Verlust verletzt, stapften selbst die Gäste und die getreuen Mitglieder der Gemeinde Holy Cross durch den verbliebenen Schlamm, um sich der Suche anzuschließen. Selbst Rémy de Pertuis vergaß seinen empfindlichen Hals und durchstöberte an der Seite von Bénezet jeden Winkel der Ställe des Pferdemarktes und der Speicher darüber, von wo die Reliquie

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