Der Fromme Dieb
man in diesem Sarg finden würde, sollte der Deckel jemals gelüftet werden. Obwohl ich zugeben muß, daß ich inständig bete«, fügte Cadfael kläglich hinzu, »daß es niemals zu dieser Prüfung kommt.«
»Das solltest du auch«, stimmte Hugh zu. »Man stelle sich den Aufruhr vor, wenn jemand irgendwo jene Siegel erbricht, die du so sorgfältig wiederhergestellt hast, den Deckel hebt und den Leichnam eines jungen Mannes von etwa vierundzwanzig Jahren statt der Gebeine einer jungfräulichen Heiligen vorfände. Und dazu auch noch splitterfasernackt! Du würdest es dir mit allen verderben!« Er erhob sich mit einem Lachen, das allerdings eine leicht bittere Note hatte, denn die Möglichkeit der Entdeckung bestand wirklich und sie konnte zu einem Desaster führen. »Ich muß mich jetzt bereitmachen. Prior Robert möchte aufbrechen, sobald er gespeist hat.« Er umarmte Cadfael und klopfte ihm ermunternd auf die Schulter.
»Nur keine Angst; du bist ihr Günstling, und sie wird sich schon um sich selbst kümmern – ganz abgesehen davon, daß auch du dich bisher höchst erfolgreich um dich selbst gekümmert hast.«
»Das Sonderbare ist«, sagte Cadfael plötzlich, als Hugh schon die Tür erreicht hatte, »das Sonderbare ist, daß ich mich fast ebenso um den armen Columbanus sorge.«
»Der arme Columbanus?« wiederholte Hugh, wandte sich um und starrte Cadfael erstaunt und zugleich belustigt an. »Du hältst doch immer wieder Überraschungen für mich bereit. Weiß Gott, der arme Columbanus. Ein heimlicher Mörder, und das nur zu seinem eigenen Ruhme, nicht zum Ruhme Shrewsburys und noch weniger zum Ruhme Winifreds.«
»Ich weiß, aber er endete als Verlierer. Und tot! Und jetzt – fortgeschwemmt von seinem letzten Zufluchtsort, einem stillen Altar, und an einen fremden Ort getragen, wo er niemanden kennt, keinen Freund, keinen Feind.
Und vielleicht«, fügte Cadfael hinzu und schüttelte den Kopf über den verirrten Sünder, »wird man Wunder von ihm erwarten, die er nicht vollbringen kann. Darf man da nicht ein wenig Mitleid mit ihm haben?«
Gleich nach dem Mittagsmahl begab sich Cadfael nach Longner und traf den jungen Hausherrn in seiner Schmiede innerhalb der Palisaden an, wo er die Anfertigung einer neuen Eisenschar für einen Pflug überwachte. Eudo Blount war der geborene Bauer, ein großer, kräftiger, blonder Bursche, allem Anschein nach weit geeigneter für den Kriegsdienst als sein jüngerer Bruder, doch ein Mann, für den Erde und Ernte und gut gehaltenes Vieh zum Glück ausreichten. Er würde Söhne großziehen, die ihm ähnlich wären, und die Erde würde sich ihrer erfreuen. Jüngere Söhne mußten sich ihr Glück selber schmieden.
»Die heilige Winifred ist verschwunden?« sagte Eudo, als er den Grund von Cadfaels Besuch erfuhr. »Wie zum Teufel konnte das geschehen? So etwas kann man doch nicht in der Hand verschwinden lassen oder in einen Beutel stecken, wenn gerade mal niemand achtgibt. Und Ihr wollt mit Gregory und Lambert sprechen? Ihr nehmt doch nicht an, daß sie etwas mit ihr vorgehabt hätten, selbst wenn ihr Wagen auf dem Gelände des Pferdemarkts stand. Es gibt doch keine Klagen über meine Männer, hoffe ich.«
»Nicht die geringsten«, sagte Cadfael freundlich. »Doch der Zufall könnte gewollt haben, daß sie etwas sahen, für das wir blind waren. Sie eilten uns zu Hilfe, als wir in Not waren, und wir sind ihnen von Herzen dankbar dafür. Es ist aber sinnlos, weiter weg zu suchen, bevor wir nicht in unmittelbarer Nähe alles durchforstet und uns vergewissert haben, daß kein übereifriger Tölpel die Heilige an einen sicheren Ort gebracht und sie unfindbar verlegt hat. Wir haben jede Menschenseele innerhalb der Klostermauern befragt, nun wollen wir auch noch diese beiden letzten aushorchen, um nicht eine vielleicht einfache Antwort außer acht zu lassen.«
»Fragt, was immer Ihr wollt«, sagte Eudo schlicht. »Ihr findet die beiden drüben im Stall oder im Schuppen. Ich hoffe, Ihr bekommt Eure einfache Antwort, aber ich bezweifle es. Sie haben unten bei Euch das Holz abgeladen und umgeladen und sich unverzüglich wieder auf den Heimweg gemacht. Ich weiß noch, daß Gregory mir berichtet hat, was in der Kirche vor sich ging und wie hoch das Wasser im Kirchenschiff stand, sonst aber nichts. Doch versucht nur Euer Glück.«
Da Eudo sich seiner Leute völlig sicher war, hielt er es nicht für erforderlich zuzuhören, was bei der Befragung ans Licht kommen würde, und wandte sich
Weitere Kostenlose Bücher