Der Fromme Dieb
begegnet war, sah der Begegnung mit großer Teilnahme entgegen. Robert Beaumont, auch er, wie vor ihm sein Vater, Graf von Leicester, war ein Mann von knapp über vierzig Jahren, kräftig gebaut und von mittlerer Größe, mit schwarzem Haar und noch schwärzeren Augen, kostbar, aber dunkel und schlicht gekleidet, bestimmt zwar, aber nicht übermäßig streng, denn dazu bestand kein Anlaß. Auf normannische Art glattrasiert und ohne den Schutz eines Bartes offenbarte er ein Gesicht mit breiter Stirn, hervortretenden Wangenknochen, schmalem Kinn, einer entschlossenen Mundpartie mit vollen Lippen, an den Mundwinkeln leicht nach oben geneigt, um einem gewissen unberechenbaren Funkeln seiner Augen zu entsprechen. Die Symmetrie seines Körpers und die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen wurden durch eine geringfügige Wölbung gestört, die seine rechte Schulter nicht mit der linken in Einklang scheinen ließ. Kein großer Makel und doch einer, der die Augen von Gästen, die ihm zum erstenmal begegneten, zunächst verwirrte.
»Lord Sheriff, Euer Ehren«, sagte der Graf, »Ihr kommt sehr gelegen, wenn Robin mir Euer Anliegen richtig gemeldet hat, denn ich war, wie ich gestehen muß, sehr in Versuchung, den Deckel von diesem Ding, was immer es sein mag, was mir von Ullesthorpe hergebracht wurde, zu lüften. Es wäre bedauerlich gewesen, die wunderschönen Siegel zu brechen, und ich bin froh, meine Hand zurückgehalten zu haben.«
Und ich hätte es auch bedauert, dachte Hugh aufgeregt, und Cadfael erst. Des Grafen Stimme war tief und voll, dem Ohre sehr angenehm, und das, was sie verkündete, noch angenehmer. Prior Robert schmolz dahin, wurde liebenswürdig und redselig. In der Gegenwart eines normannischen Herrschers von solcher Macht und Würde entsann sich Robert, selbst Normanne, obwohl dem Kloster zugehörig, seiner Herkunft und blühte auf, als putzte er sich vor einem Spiegel.
»Hoher Herr, wenn ich für Shrewsbury, für die Abtei und auch die Stadt sprechen darf, so muß ich Euch sagen, wie glücklich wir uns schätzen, daß die heilige Winifred in solch edle Hände wie die Euren gefallen ist. Fast möchte man glauben, sie selbst habe alles auf wundersame Weise in die rechte Richtung geführt und sich und ihre Schutzbefohlenen aus solchen Gefahren errettet.«
»Das könnte man fast, in der Tat«, erwiderte Graf Robert, und seine eloquenten und empfindsamen Lippen verzogen sich zu einem sanften und nachdenklichen Lächeln. »Wenn die Heiligen durchsetzen können, was immer ihre ureigensten Wünsche sind, so hat diese verehrte Heilige es vielleicht als sinnvoll empfunden, sich an mich zu wenden. Ich fühle mich über alle Maßen geehrt. Kommt nun und seht, wie ich sie untergebracht habe und daß ihr kein Leid und kein Schimpf angetan worden ist. Ich werde Euch den Weg weisen. Ihr solltet hier verweilen, wenigstens eine Nacht oder solange Ihr nur wollt. Beim Nachtmahl müßt Ihr mir die ganze Geschichte erzählen, und wir werden beraten, was zu geschehen hat, um der Heiligen zu willfahren.«
Die Tafel war üppig, der Empfang offen und großzügig, und sie hätten nach all diesen Plagen kaum in reichere Weidegründe geraten sein können; dennoch blieb Hugh während des ganzen Mahls merkwürdig angespannt und auf der Hut, als erwartete er, daß sich jeden Augenblick etwas Unvorhergesehenes ereignen würde und die Dinge plötzlich eine unvermittelte Wendung nehmen könnten, und das zu einem Zeitpunkt, da Prior Robert zu glauben begann, seine Nöte hätten ein Ende gefunden. Es war weniger ein Gefühl der Unruhe als das einer Erwartung, einer fast angenehmen Ahnung. Denn was sollte das bisher erfolgreiche Unternehmen jetzt noch vereiteln können?
Der Haushalt des Grafen in Huncote bestand nur aus wenigen Bediensteten, und trotzdem saßen sie zu zehnt an der großen Tafel, lauter Männer, waren die Gräfin und ihre Dienerinnen doch in Leicester geblieben. Der Graf hatte die beiden klösterlichen Würdenträger zu seiner Rechten und zu seiner Linken plaziert, Hugh saß neben Herluin. Nicol hatte sich auf den ihm gebührenden Platz unter den Hausangestellten begeben, während Tutilo, schweigsam und zurückhaltend in solch vornehmer Gesellschaft, ganz am Ende bei den Hofgeistlichen saß und auch dort kaum den Mund aufzumachen wagte. Zuweilen ist es besser, nur Zuhörer zu sein, wenn man dazu noch sehr aufmerksam ist.
»Fürwahr eine seltsame Geschichte«, ließ sich der Graf vernehmen, der Prior Roberts wortreicher
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