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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Arbeitsnischen. Es war ein denkbar günstiger Zeitpunkt, denn das Tageslicht verblaßte schon, und die Brüder, die eben noch mit Lesen und Kopieren beschäftigt gewesen waren, hatten ihr Tagewerk beendet und den Prior allein zurückgelassen, der jetzt dafür sorgte, daß alles an seinem Platz war. In der dämmrigen Stille trugen die Stimmen besonders gut; Jerome war zudem erregt, und Robert hatte noch nie dazu geneigt, eine Stimme zu dämpfen, die er gern hörte. Nützliche Dinge, das wußte Bénezet, konnten an den ungewöhnlichsten Orten aufgelesen werden.
    »Vater Prior«, sprach Bruder Jerome, halb entrüstet, halb befriedigt, »mir ist etwas zu Ohren gekommen, was Ihr wissen solltet. Allem Anschein nach war ein Mann am Verladen der heiligen Winifred auf den Wagen nach Ramsey beteiligt – völlig ahnungslos über das, was er tat, von einem Bruder unseres Ordens darum gebeten. Dieser Mann behauptet, er könne den Übeltäter wiedererkennen. Heute abend wird er hier erscheinen, um ihn zu identifizieren. Warum, Vater, sind wir nicht davon in Kenntnis gesetzt worden?«
    »Ich weiß darum Bescheid«, entgegnete der Prior und verriegelte den eben noch geöffneten Schrank, um Frömmigkeit und Weisheit vor fremdem Zugriff zu schützen. »Unser Abt hat es mir mitgeteilt. Es wurde nicht bekanntgegeben, weil der Schuldige sonst gewarnt wäre.«
    »Aber Vater, seht Ihr, was das bedeutet? Es war die Bosheit der Menschen, die Winifred unserer Obhut entriß. Und ich hörte bereits den Namen des unfrommen Mönches, der sich erdreistete, sie zu entwenden. Bruder Cadfael nannte den Namen. Das vermeintliche Unschuldslamm ist der Novize aus Ramsey, Tutilo.«
    »Das wurde mir allerdings nicht zugetragen«, sagte Robert mit leicht verletztem Stolz. »Gewiß deshalb, weil der Abt keinen Menschen verurteilen will, bis dessen Schuld von einem Zeugen bestätigt wurde. Wir müssen nur bis heute abend warten, dann halten wir den Beweis in Händen.«
    »Aber, Vater, ist eine solche Schlechtigkeit bei einem Menschen überhaupt denkbar? Und welche Strafe kann die Tat wiedergutmachen? Sicher hätte der Blitzschlag des Himmels ihn bei der Ausführung seiner Missetat treffen und vernichten sollen.«
    »Die Vergeltung mag aufgeschoben werden«, sagte Prior Robert und steuerte mit seinem beflissenen Schatten auf den Fersen der Tür des Skriptoriums zu, »aber gewiß nicht aufgehoben. Wenige Stunden noch, und der Übeltäter bekommt, was er verdient.«
    Das rachsüchtige und unbefriedigte Murren Bruder Jeromes verlor sich, als er durch die Südtür hinaus in die kühle Abendluft trat. Bénezet ließ ihn davongehen und nahm einen Augenblick Platz, um zu überdenken, was er vernommen hatte, dann erhob er sich ohne Hast und machte sich gedankenversunken auf den Weg zum Gästehaus. Ein geruhsamer Abend lag vor ihm; er und Daalny waren aller Dienste entbunden, denn Rémy würde mit dem Abt und dem Grafen zu Abend speisen – die ersten Früchte seiner beflissenen Suche nach Stellung und Status.
    Kein Diener mußte ihm dabei aufwarten, und obwohl es durchaus denkbar war, daß musiziert würde, bevor der Abend endete, wäre die Darbietung einer jungen Sängerin wie Daalny in den Räumlichkeiten des Abtes nicht schicklich gewesen. So konnten beide endlich einmal tun, wonach ihnen der Sinn stand.
    »Ich habe dir etwas mitzuteilen«, flüsterte er Daalny zu, die unter einer der Fackeln in der Halle einen Rebec stimmte.
    »Heute nacht soll eine Jagd stattfinden, der dein Tutilo tunlichst aus dem Weg gehen sollte.« Und er berichtete ihr, woher der Wind wehte. »Erzähl ihm das, wenn du willst«, fügte er liebenswürdig hinzu, »und sorge dafür, daß er sich rar macht.
    Es mag vielleicht nur ein kurzer Aufschub sein, aber selbst ein Tag ist eine Verschnaufpause. Ich glaube, er ist geschickt genug, eine glaubwürdige Geschichte zu ersinnen oder diesen Zeugen zu einer anderen Aussage zu überreden. Warum sollte ich dem Burschen größeren Schaden wünschen als den, in den er sich schon hineinmanövriert hat?«
    »Er ist nicht mein Tutilo«, sagte Daalny. Aber sie legte den Rebec auf die Knie und schaute mit nachdenklicher Miene zu Bénezet auf. »Was du mir da erzählst – ist es auch die Wahrheit?«
    »Was sonst? Du hast all das Hin und Her bemerkt; meine Geschichte ist der Hintergrund dazu. Und gerade jetzt bist du vielleicht das einzige Mal so frei wie ein Vogel, vorausgesetzt, du kommst rechtzeitig in deinen Käfig zurück. Tu, wonach dir der Sinn steht,

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