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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Ihr«, sagte sie, »daß er an jenem Abend nicht nach Longner gerufen wurde. Es war eine glaubwürdige Lüge, er suchte aber bloß einen Vorwand, um anderswo, keinesfalls aber hier zu sein, als der Schäfer erwartet wurde. Das wäre zwar noch keine Lösung gewesen, doch das Schlimmste hätte wenigstens aufgeschoben werden können, denn Tutilo blickt selten über den Tag hinaus. Wenn er die Begegnung mit dem armen Mann sogar um mehrere Tage hätte hinauszögern können, wäre der Streit um die Gebeine der Heiligen so oder so beigelegt gewesen, und Herluin hätte seine Reise zusammen mit Tutilo fortgesetzt. Nicht daß das ein beneidenswertes Leben gewesen wäre«, fügte sie, die Unterlippe mißbilligend vorgeschoben, hinzu, »jetzt, wo er sein hohes Ziel verfehlt hat.
    Wenn die Sache mit der Bibelbefragung sich gegen Herluin wendet, wird er die ganze Schuld und Schmach auf Tutilo abwälzen, und das mit Wucherzinsen. Das wißt Ihr genausogut wie ich. Diese Mönche bleiben so, wie sie geboren wurden, werden allerdings besessener. Wenn sie hart und kalt auf die Welt kommen, so sind sie am Ende noch härter und kälter, kommen sie großzügig und sanft auf die Welt, werden sie noch sanfter und großzügiger. Entweder das eine oder das andere.
    Und alles gerade jetzt, wo Tutilo sich klar wird, wohin er gehört und was wirklich in ihm steckt«, sagte sie eifrig. »So also war es. Was Longner betrifft, so hat er gelogen, damit er den ganzen Abend von hier fern sein konnte. Jetzt steht er in Lady Donatas Schuld und geht, sie zu begleichen.«
    »Es geht um mehr als um eine Schuld«, sagte Cadfael.
    »Vom ersten Moment, da sein Blick auf sie fiel, hat diese Lady ihn gezähmt. Ganz gleich, welche Köder Ihr in die andere Waagschale geworfen hättet – er wäre zu ihr gegangen. Und Ihr sagt mir, er habe genau gewußt, daß Aldhelm an jenem Abend im Kloster erwartet wurde? Woher soll er es denn gewußt haben? Es war den Brüdern gar nicht mitgeteilt worden.
    Nur der Abt und ich wußten es, obwohl der sich vielleicht verpflichtet sah, Prior Robert davon in Kenntnis zu setzen.«
    »Tutilo wußte es«, erwiderte sie schlicht, »weil ich es ihm gesagt habe.«
    »Und woher wußtet Ihr es?«
    Plötzlich auf der Hut, blickte sie ihn scharf an. »Ja, gewiß, nur wenige wußten es. Es geschah ganz zufällig. Bénezet hörte, wie Prior Robert und Bruder Jerome davon sprachen, und er kam, um es mir zu berichten. Er wußte, ich würde Tutilo warnen, das war wohl auch seine Absicht. Er weiß«, fügte sie hinzu, »daß ich Tutilo mag.«
    Die einfachsten und maßvollsten Worte eignen sich am besten dazu, vertrackte und maßlose Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Sie hatte mehr gesagt, als sie wußte.
    »Und er?« fragte Cadfael, scheinbar beiläufig.
    Aber sie war nicht einfältig. Das sind Frauen nie, und sie war eine Frau, die mehr Lebenserfahrung gesammelt hatte, als ihr Alter es vermuten ließ. »Er weiß kaum, was er empfindet«, sagte sie, »weder für mich noch für sonst etwas. Er läßt sich treiben. Er hat einen herrlichen Traum und rennt Hals über Kopf drauflos. Er redet sich diese Herrlichkeit selbst ein. Der Traum vom Klosterleben ist jetzt schon im Verblassen. Ich weiß, es hat
    Glanz, dieses Leben, aber nicht für ihn. Er ist nicht der Mann, der sich mit Frieden und stillem Glück begnügt.«
    »Dann sagt mir«, sprach Cadfael sanft, »was an jenem Abend geschah, nachdem er die Erlaubnis erhielt, nach Longner aufzubrechen.«
    »Ich hätte es sofort erzählen können«, sagte sie reuig, »aber es hätte ihm nichts genützt. Denn ohne Zweifel ging er den Pfad entlang und fand dort die arme, tote Seele, lief, wie ein ehrlicher Mann es tut, zur Burg und berichtete dem Sheriff von dem schrecklichen Fund. Was ich hinzufügen kann, ändert nichts an alledem. Aber wenn Ihr ein Körnchen Gutes darin zu entdecken vermögt, um Himmels willen, hebt es auf und zeigt es mir, denn ich habe es wohl übersehen.«
    »So erzählt denn.«
    »Wir heckten den Plan gemeinsam aus«, sagte sie, »und es war das erste Mal, daß wir uns außerhalb der Klostermauern trafen. Er ging hinaus und nahm den Pfad, der über den Kamm zur Fähre führt. Ich schlich durchs Friedhofstor zum Pferdemarkt, und wir kletterten auf den Heuboden über den Ställen dort. Die Tür war noch nicht verriegelt, da die Pferde nach der Flut in die Ställe des Klosters zurückgeführt worden waren. Es dauerte über eine Woche, bis die Klosterställe wieder trocken waren. Und dort

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