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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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in Zeiten der Untätigkeit und Langeweile angeschlossen, und es war bedauerlich, daß ihm das Beste an dem Spaß, der so viel mehr war als bloßer Spaß, vorenthalten werden mußte. Den würde er allein mit Hugh teilen können, der die guten und schlechten Seiten seines Freundes Cadfael kannte. Nein, da gab es noch jemanden, der alles wußte. Sicher erinnerte sich die heilige Winifred manchmal dessen und lächelte in ihrem ruhigen Schlaf in Gwytherin, lachte sogar, wenn sie aufwachte, um die Strahlen ihrer Gnade in die Ferne zu senden und einen gelähmten Jungen in Shrewsbury zu heilen.
    Und wie die erste so traf auch die zweite Antwort auf erstaunliche Weise zu und sprach eine geheime, paradoxe Wahrheit vor einem Mann aus, der sie aus vollem Herzen zu schätzen gewußt hätte und doch nicht in das Geheimnis eingeweiht werden durfte. Wenn es seine Absicht war, zu reizen und zu verwirren, warum sollte sie sich dann nicht auf ihre sanfte Weise dafür rächen?
    »Ich bin in der gleichen Lage wie Ihr«, sagte der Abt und lächelte. »Ich höre zu und mühe mich zu verstehen. Vielleicht müssen wir warten, bis alles beantwortet worden ist, bevor wir auf Erleuchtung hoffen dürfen. Sollen wir fortfahren und auf die Offenbarung warten?«
    »Gern!« sagte der Graf, wandte sich um und schritt die drei Stufen hinunter, wobei sein scharlachroter Überrock herumwirbelte. Als er so hinabschritt, die Altarkerzen im Hintergrund, störten die hohe Schulter und der Buckel kaum das Gleichmaß seines kräftigen und ansonsten wohlgeformten Körpers. Er zog sich sogleich gebührend zurück, um das geheime und gefaßte Vorgehen des nächsten Kandidaten in keiner Weise zu behindern, und seine beiden jungen Knappen, angehalten, sich bescheiden im Hintergrund zu halten, traten mit ihm nach hinten.
    Wenn er spielt, um sich die Langeweile zu vertreiben, dachte Cadfael, so spielt er nach noblen Regeln. Hugh mochte ihn vom ersten Augenblick an; und das gilt auch für mich, ich schätze ihn sehr. Und plötzlich fuhren ihm Gedanken über das Befremdliche an menschlichen Beziehungen durch den Kopf.
    Wie steht ein Mann wie dieser Graf, grübelte er, zu unserem lauten, ungestümen, freimütigen König Stephen, der die Ereignisse in Angriff nimmt wie ein Stier? Und jetzt, da ich die Dinge so deutlich sehe – wie steht Hugh zum König? Müssen nicht alle zum Denken befähigten Seelen dieses langen Haders, der keine Fortschritte macht, der Menschen und Ernten und den Wohlstand des Landes zugrunde richtet, längst überdrüssig sein? Überdrüssig nicht nur des Königs, sondern mehr noch vielleicht jener Dame, die ihre Zähne ins Fleisch des Reiches gräbt und es nicht mehr losläßt? Irgendwo muß es doch einen besseren Erben geben, einen Hoffnungsschimmer auf eine Sonne, die alle Zweifel wie Morgennebel auflöst und mit ihrer Blendkraft König und Kaiserin und all die Zwietracht, Verwirrung und Verwüstung, die sie über dieses Land gebracht haben, aus unserer Erinnerung löscht.
    »Vater Herluin«, sprach Abt Radulfus, »wollt Ihr es versuchen?«
    Herluin trat sehr langsam auf den Altar zu, als müßten diese wenigen Schritte und das Erklimmen der drei Stufen zum Gebet und zur hingebungsvollen Kontemplation auf jenes Bemühen, das sein ehrgeiziges Ziel sowohl mit Erfolg als auch mit Mißerfolg bescheiden konnte, genützt werden. In seinem langen, eingefallenen Gesicht brannten die Augen dunkel wie halbverglühte Kohlen. Trotz allen Eifers zögerte er, als es an ihm war, die sortes zu befragen, denn zwei- oder dreimal legte er die Hände auf das Buch, nur um sie sofort wieder zurückzuziehen. Höchst aufschlußreich, dachte Cadfael, die unterschiedlichen Vorgehensweisen zu beobachten, mit denen verschiedene Männer sich dem Augenblick der Wahrheit nähern. Robert Bossu hatte das Buch energisch niedergelegt, es mit beiden Daumen geteilt und geöffnet und den Finger dorthin bewegt, wohin das Schicksal ihn führte. Aber als Herluin das Buch endlich berührte, geschah es ängstlich und verkrampft, als würde das Pergament brennen, und selbst als er das Buch schon geöffnet hatte, zauderte er eine Weile, welche Stelle auf der Seite er wählen sollte, schwankte zwischen Rekto und Verso und wieder zurück, bis er den Zeigefinger endlich senkte. Sobald das geschehen war, holte er tief Luft und beugte sich hinab, um zu sehen, was das Schicksal für ihn bereithielt. Er schluckte und blieb stumm.
    »So lest doch!« trieb der Abt ihn behutsam an.
    Es half nichts.

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