Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
Vom Netzwerk:
töricht war ich, das will ich vor Euch gestehen, aber es war nie meine Absicht, dieses Haus zu betrügen, und ich beuge mich tief ob des geschehenen Übels und bitte um Vergebung. Seine Lordschaft von Leicester hat auch in meinem Sinne gesprochen. Das Feld ist Euer, Vater Abt. Nehmt alle Ehren und allen Gewinn entgegen.«
    Es gibt verschiedene Arten, sich zu erniedrigen, um sich zu erhöhen – obwohl Prior Robert, hätten die Dinge einen anderen Verlauf genommen, es vielleicht mit mehr Würde getan hätte.
    Die beiden waren sich ebenbürtig, obwohl Robert, von noblerer Herkunft als Herluin, die bessere Beherrschung und weniger Arglist besaß, wenn er in Bedrängnis geriet.
    »Wenn alle zufrieden sind«, sagte Radulfus, der diesen Wortwechsel nicht nur lästig, sondern auch weitschweifig fand, »möchte ich diese Versammlung mit einem Gebet abschließen und dann auflösen.«
    Sie waren nach dem letzten Amen noch immer auf den Knien, als ein plötzlicher Windstoß zu spüren war, der durch das Altarschiff in den Chor drang, als käme er vom Südportal her, doch niemand hatte ein Knirschen des Riegels oder ein Knarren der Tür vernommen. Jeder konnte es spüren, und da die Luft noch immer schwanger war von Prophezeiung und Hader, zuckte jeder zusammen und spitzte die Ohren, und einige öffneten die Augen, um nach der Quelle dieses unvermittelten Windes aus der Außenwelt Ausschau zu halten.
    Bruder Rhun, der ergebene Diener der heiligen Winifred, wandte als erster seinen schönen Kopf, um in größter Sorge auf ihren Altar zu blicken. Hoch und schrill drang seine Stimme durch die Stille: »Vater, schaut auf den Altar! Die Seiten des Evangeliums schlagen um!«
    Prior Robert hatte, als er, noch eingehüllt in Wolken des Triumphes, seinen erhöhten Platz verließ, das Evangelium an der Stelle aufgeschlagen liegen lassen, an der sein Sieg geschrieben stand: bei Johannes, dem letzten der Evangelisten, weit hinten im Buche. Aller Augen waren jetzt auf das Buch gerichtet, und tatsächlich bewegten sich die Seiten rückwärts, langsam, zögernd, kurz aufrecht weilend, um dann nachzugeben, manchmal eine einzelne Seite, manchmal, von einem stärkeren Windhauch bewegt, gleich mehrere auf einmal, fast als würden Finger sie anheben und führen oder manchmal hastig überfliegen. Das Evangelium blätterte zurück von Johannes zu Lukas, von Lukas zu Markus… und weiter… Alle sahen gebannt zu und merkten kaum, begriffen kaum, daß der plötzliche Wind vom Südportal sich gänzlich gelegt hatte, und die Seiten, Blatt für Blatt, jetzt zwar ganz langsam, aber dennoch weiter umschlugen. Sie richteten sich auf, verharrten fast still, neigten und legten sich über die späteren Bücher des Evangeliums.
    Denn inzwischen mußten sie bei Matthäus angelangt sein.
    Und jetzt verlangsamte sich die Geschwindigkeit noch weiter, eine Seite nach der anderen richtete sich auf, zitterte einen Augenblick und neigte sich behutsam. Die letzte legte sich locker, nicht ganz flach auf ihre Gefährten, lag dann aber still, und kein Hauch des Windes war mehr zu spüren, der die Seiten umgeblättert hatte.
    Eine Weile lang rührte sich niemand. Schließlich erhob sich Abt Radulfus und trat auf den Altar zu. Was die Luft selbst geschrieben hatte, mußte von mehr als natürlicher Bedeutung sein. Ohne das Buch zu berühren, beugte er sich hinab und schaute auf die Seite.
    »Tretet näher, zwei oder drei von euch, damit ich nicht der einzige Zeuge bin.«
    Prior Robert stand im Nu am Fuße der Altartreppe, groß genug, um lesen zu können, ohne die Stufen erklimmen zu müssen. Cadfael näherte sich von der anderen Seite. Herluin hielt sich fern, zu tief mit seinen Geistesnöten beschäftigt, um sich mit weiteren Wundern zu befassen. Der Graf aber näherte sich mit aufrichtiger Neugier und reckte den Hals, um die aufgeschlagenen Seiten zu erspähen. Das Blatt auf der linken Seite hob sich ein wenig, zitterte leicht unter der eigenen Spannung, denn es war ja jetzt kein Windhauch mehr zu spüren. Die rechte Seite bewegte sich nicht, und im Bund des Buches lagen ein paar weiße Blütenblätter und eine kleine Schwarzdornknospe, die eben aus ihrer dunklen Umhüllung gebrochen war.
    »Ich habe nichts angerührt«, sprach Radulfus, »denn hier handelt es sich um keine Frage meinerseits noch von irgendeinem unter uns. Ic h betrachte dieses Omen als Gnade und diese Knospe als den Finger der Wahrheit. Er deutet auf den Vers 21 und der Satz lautet: ›Es wird aber ein

Weitere Kostenlose Bücher