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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Bruder den andern zum Tod überantworten.‹«
    Es folgte langes, ehrfürchtiges Schweigen. Prior Robert streckte behutsam die Hand aus, um die kleinen losen Blütenblätter und die aufbrechende Knospe, die im Bund des Buches gesteckt hatte, zu berühren.
    »Vater Abt, Ihr seid nicht mit uns in Gwytherin gewesen, denn sonst würdet Ihr dieses Wunder wiedererkennen. Als die Heilige uns in der Kirche dort besuchte, wie vorher schon in einer Vision, kam sie in einem Regen von Maiblüten. Die Jahreszeit für den Weißdorn ist noch nicht gekommen, aber diese… diese schickt sie uns an ihrer Stelle, wieder das Weiß ihrer Unschuld. Es ist ein unmittelbares Zeichen der heiligen Winifred. Und wir sind verpflichtet, dem, was sie uns anvertraut, Beachtung zu schenken.«
    Ein Murmeln und Raunen ging durch die Versammlung der Mönche, und, angezogen von dem Wunder, kamen sie langsam näher. Einer unter ihnen rang nach Luft, tief und schmerzvoll, und es klang wie ein unterdrücktes Schluchzen.
    »Das ist eine Frage der Deutung«, sprach Radulfus ernst.
    »Wie sollen wir solch ein Orakel verstehen?«
    »Es spricht vom Tod«, lautete der sachliche Kommentar des Grafen. »Und es hat hier einen Toten gegeben. Der Verdacht lastet, wenn ich es richtig verstehe, auf einem jungen Mann Eures Ordens. Der Schatten liegt über allen. Das Orakel spricht von einem Bruder als Werkzeug des Todes, was mit dem Fall übereinstimmt, so weit er uns bisher bekannt ist. Aber es spricht auch von einem Bruder als dem Opfer. Das Opfer war jedoch kein Bruder. Wie ist das zu verstehen?«
    »Wenn sie tatsächlich in diese Richtung gedeutet hat«, sagte der Abt bestimmt, »so müssen wir ihr folgen. ›Bruder‹ sagt sie, und wenn wir ihrem Worte glauben, war es ein Bruder, dessen Tod von einem Bruder ausgeheckt worden war. Die Bedeutung, die dieses Wort innerhalb dieser Mauern hat, ist der Heiligen ebenso bekannt wie uns. Wenn einer von Euch wichtige Gedanken zu dieser dringlichen Angelegenheit vorzubringen hat, so möge er sprechen.«
    In die unbehagliche Stille hinein, während Bruder um Bruder den Blick des Nachbarn suchte oder ihm auswich, sprach Bruder Cadfael: »Bruder Abt, ich habe Gedanken vorzubringen, die mir erst heute morgen gekommen sind und jetzt von Bedeutung sein könnten. In der Mordnacht war es finster, nicht nur wegen der fortgeschrittenen Stunde, sondern auch wegen des Wetters, denn die Wolken hingen tief, und es regnete. Der Ort, an dem Aldhelms Leichnam gefunden wurde, befindet sich in einem dichten Waldstück, auf einem schmalen Pfad, auf den nur das Licht eines klaren Himmels dringen würde. Aber hell genug für einen wartenden Mann, dessen Augen ans Dunkel gewöhnt sind, um eine Gestalt, einen Schemen zu erkennen.
    Und der Schemen Aldhelms war der eines jungen Mannes, allein schon seinem schnellen Schritt nach zu urteilen. Zudem war er in einen graubraunen Umhang gegen den Regen gehüllt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Vater, wie kann man diese Gestalt unter solchen Bedingungen von der eines Benediktinerbruders in dunkler Kutte mit Kapuze unterscheiden, eines jungen Bruders, der kräftig ausschreitet, um rasch ins Trockene zu gelangen?«
    »Wenn ich Euch recht verstehe«, sagte Radulfus, nachdem er Cadfaels Miene eingehend betrachtet und für überaus ernst befunden hatte, »wollt Ihr andeuten, daß der junge Mann irrtümlicherweise für einen Benediktinermönch gehalten und an dessen Stelle getötet wurde?«
    »Es stimmt mit dem überein, was hier in den sortes steht«, sagte Cadfael.
    »Und mit dem Dunkel der Nacht, das gebe ich zu. Wollt Ihr weiter andeuten, daß das beabsichtigte Opfer Bruder Tutilo war? Daß er nicht der Jäger, sondern der Gejagte war?«
    »Vater, dieser Gedanke ist mir durchaus gekommen. In Körperbau und Alter sind sich die beiden in etwa ähnlich. Und wie jedermann wußte, hat Tutilo in jener Nacht das Kloster mit Erlaubnis verlassen, auch wenn er diese Erlaubnis nur durch eine Lüge erhielt. Es war bekannt, auf welchem Pfad er zurückkehren würde – oder wenigstens hat er so etwas angedeutet. Und, Vater, man muß zugeben, daß er einiges getan hat, um sich Feinde in diesein Haus zu machen.«
    »Ein Bruder, der sich gegen einen Bruder wendet…«, sagte der Abt grübelnd. »Nun, wir sind fehlbar wie der Rest der Menschheit; Haß und Bosheit machen vor unseren Mauern nicht halt. Aber was hat es mit diesem zweiten und todbringenden Bruder auf sich? Niemand anderer hat in jener Nacht das Kloster

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