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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Beichte«, sprach der Abt, »ist der Anfang aller Einsicht. Auf Leugnen kann keine Gnade erfolgen.
    Berichtet uns, was Ihr getan habt und wie es sich zutrug.«
    Der stockende Bericht zog sich eine Weile hin. Erbärmlich klein, eingefallen, jammerlich kniete Jerome am Boden, gestützt von Rhuns willfährigem, hilfereichendem Arm. Rhuns strahlendes, stilles Gesicht hob den Gegensatz zwischen den beiden noch besonders hervor. Die Bandbreite menschlicher Möglichkeiten ist unermeßlich.
    »Vater, als bekannt wurde, daß die Reliquien der heiligen Winifred zusammen mit dem Bauholz für Ramsey fortgeschafft worden waren, als kein Zweifel mehr bestand, wie sie dorthin gelangten – denn jeder von uns wußte, wer es getan hatte, wer sonst hätte es gewesen sein können? – , da erfaßte mich ein furchtbarer Zorn auf den Dieb, der solch einen Frevel gegen die Heilige, solch eine Kränkung gegen unser Kloster begangen hatte. Und als ich dann hörte, daß er in jener Nacht um Erlaubnis gebeten und sie erhalten hatte, nach Longner zu gehen, fürchtete ich, er wolle uns entwischen, vielleicht sogar fliehen, nachdem ihm klar geworden war, daß er vor den Richter gebracht werden könnte. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, daß er ungestraft davonkommen würde. Ich gebe zu, daß ich ihn haßte! Aber Vater, ich hatte nie vor, ihn zu töten, als ich mich allein davonschlich und am Rande des Weges, auf dem er zurückkommen mußte, auf ihn lauerte.
    Gewalt hatte ich nie im Sinn gehabt. Ich weiß selbst nicht genau, was ich vorhatte – ihn zur Rede stellen, ihn beschuldigen, ihm bewußt machen, daß die Hölle ihn erwartete, wenn er seine Missetat nicht bekennen und den Preis dafür zahlen würde.«
    Er hielt inne, um nach Luft zu ringen, und der Abt fragte: »Ihr gingt mit leeren Händen?« Eine sachliche Frage, die Jerome in seiner Verwirrtheit nicht verstand.
    »Natürlich, Vater! Was hätte ich denn mitnehmen sollen?«
    »Einerlei! Fahret fort.«
    »Vater, was soll ich noch sagen? Als ich jemanden zwischen den Büschen herbeikommen hörte, glaubte ich, es könne nur Tutilo sein. Ich hatte keine Ahnung, welchen Pfad der andere Mann nehmen würde. Ich war davon ausgegangen, daß er schon dagewesen und wieder fort war: unverrichteterdinge, wie es der Dieb beabsichtigt hatte. Und dieser da – so munter kam er daher in der Dunkelheit, ein weltliches Liedchen vor sich hin trällernd. Vergehen über Vergehen, und nicht der Anflug eines Skrupels. Ich konnte es einfach nicht ertragen. Als er vorüberging, hob ich einen heruntergefallenen Ast auf und schlug ihm damit auf den Kopf. Ich habe ihn niedergestreckt«, stöhnte Jerome, »und er fiel quer über den Pfad, und die Kapuze glitt ihm vom Kopf. Er rührte sich nicht mehr. Ich trat näher, kniete neben ihm nieder, und da sah ich sein Gesicht.
    Selbst in der Dunkelheit sah ich genug. Das war nicht mein Feind, nicht der Feind der Heiligen, nicht der Dieb. Und ich hatte ihn getötet. Ich rannte vor ihm davon… Krank und am ganzen Leibe zitternd ergriff ich die Flucht vor ihm und versteckte mich, aber er hat mich seither jeden Augenblick verfolgt. Ich bekenne meine schwere Sünde und bereue sie von ganzem Herzen. Ich beklage den Tag und die Stunde, da ich die Hand gegen einen unschuldigen Mann erhob. Aber ich bin sein Mörder!«
    Er beugte sich und verbarg das Gesicht in den Händen.
    Gedämpfte Laute waren zwischen Schluchzern zu hören, aber keine deutlichen Worte mehr. Cadfael hatte schon den Mund geöffnet, um den Bericht dieses unglückseligen Rächers zu Ende zu führen, besann sich aber und schwieg. Jerome hatte sicher alles, was er wußte, erzählt, und wenn die Last, die er trug, auch über Gebühr schwer war, sollte er sie ruhig noch ein wenig länger tragen. ›Ein Bruder wird den andern zum Tod überantworten‹, dieser Orakelspruch traf für Jerome zu, denn wenn er Aldhelm auch nicht getötet hatte, so hatte er ihn doch dem Tode ausgeliefert. War aber das, was dann erfolgte, auch die Tat eines Bruders, dann konnte der Mörder hier anwesend sein. Rühren wir nicht daran! Lassen wir ihn zufrieden davongehen, erleichtert, daß diese Erklärung, die Jerome guten Glaubens angeboten hat, von allen angenommen worden ist, und in der Gewißheit, daß er, der Mörder, sich nun in Sicherheit wiegen kann. Wer sich außer Gefahr wähnt, wird sorglos werden und törichte Dinge tun, die ihn verraten. In vertraulicher Abgeschiedenheit, allein für die Ohren des Abtes bestimmt, mußte die

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