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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Wahrheit allerdings gesagt werden. Jerome hatte übel gehandelt, aber nicht so übel, wie er selbst und wie alle anderen hier glaubten. Er sollte für seinen Teil an der Schuld zahlen, aber nicht für das weit üblere Verbrechen eines anderen.
    »Das ist ein sehr düsteres und schreckliches Geständnis«, sagte Abt Radulfus langsam und bedächtig, »nicht leicht zu begreifen und zu beurteilen und, ach, die Schuld ist nicht wiedergutzumachen. Ich, wie gewiß alle anderen hier, brauche Zeit für Gebete und sorgfältiges Abwägen, bevor ich daran denken kann, Recht zu sprechen, wie es die Pflicht von mir verlangt. Überdies handelt es sich um eine Angelegenheit, die nicht allein meiner Gerichtsbarkeit untersteht, denn es handelt sich hier um Mord und also muß die Gerichtsbarkeit des Königs hinzugezogen werden, auch wenn der geständige Mörder ihr nicht sogleich übergeben werden muß.«
    Jerome hatte sich längst in alles ergeben, ganz gleich, was von ihm verlangt oder gegen ihn vorgebracht werden würde.
    Ausgelaugt und entkräftet, fügte er sich willenlos in alles. Die Unruhe und Bestürzung, die er unter den Brüdern ausgelöst hatte, würde noch eine Weile nachklingen, während er, der alles ausgelöst hatte, schon in einen Zustand von Benommenheit und Erschöpfung gesunken war.
    »Vater«, sagte er demütig, »ich begrüße jede Strafe, die mir auferlegt wird. Mir soll keine Milde widerfahren. Es ist mein Wille, für all meine Sünden den vollen Preis zu zahlen.«
    An seiner tiefen Zerknirschung in diesem Augenblick konnte kein Zweifel bestehen. Als Rhun ihm gütig den Arm anbot und ihm half, sich zu erheben, war er noch immer gebeugt und klammerte sich an seine verzweifelte Demut.
    »Vater, laßt mich von hier fortbringen. Laßt mich allein sein, verborgen vor den Augen der Menschen…«
    »Einsamkeit soll Euch gewährt sein«, sprach der Abt, »Verzweiflung indes nicht. Für Prozeß und Urteil ist es noch zu früh, für die Gebete eines wirklich reuigen Sünders aber ist es nie zu früh und nie zu spät.«
    Und ohne seinen Blick von der gebrochenen Kreatur zu wenden, die wie ein zerzauster Vogel auf den Fliesen kauerte, befahl er dem Prior: »Nehmt ihn in Gewahrsam. Und nun entfernt auch ihr euch, ihr anderen, kommt zur Ruhe und geht euren Pflichten nach. Zu allen Zeiten und unter allen Umständen bleiben unsere Gelübde bindend.«
    Mit eisernem Schweigen, noch immer starr vor Entsetzen und bar aller gewohnten Würde, führte Prior Robert seinen niedergeschmetterten Sekretär in die zweite, noch freie Büßerzelle. So weit sich Cadfael erinnern konnte, war es das erste Mal, daß beide Zellen gleichzeitig besetzt waren. Subprior Richard, ein rechtschaffener, stiller, friedfertiger Mann, geleitete die anderen Brüder hinaus zu ihren üblichen Pflichten und bald darauf ins Refektorium zum Abendessen. Die ihm eigene, etwas einfältige Ruhe vermochte seine Herde derart zu beschwichtigen, daß sie, als die Zeit zum Händewaschen vor dem Mahle gekommen war, schon wieder zu ihrem normalen Hunger zurückgefunden hatte.
    Sobald sich herausgestellt hatte, daß Ramseys Ansehen wenigstens teilweise wiederhergestellt und Shrewsbury in peinliche Verlegenheit geraten war, hatte Herluin klugerweise darauf verzichtet, eine Rolle in den weiteren Angelegenheiten zu spielen. Er würde die versprochenen Gaben des Grafen gern entgegennehmen und sich guten Gewissens in sein eigenes Kloster zurückziehen. Was aber Tutilo bevorstand, wenn er ihn erst einmal sicher zurückgebracht hatte, das war nicht auszudenken. Vergessen und vergeben war nicht Herluins Sache.
    Was den Rückzug des Grafen vom Schlachtfeld anbetraf, dieses ruhelosen, pflichtbewußten, feinsinnigen und gewandten Mannes, so war er, wie immer, ein Musterbeispiel an Rücksichtnahme und Taktgefühl – ein ruhiges Wort an den Abt gerichtet, ein scharfer Blick hin zu seinen beiden Knappen, die ihn schon beim bloßen Heben einer Augenbraue oder der Andeutung eines Lächelns verstanden. Er wußte genau, wann er seinen Stand auszuspielen und wann und wie er dessen Glanz herunterzuspielen und sich zurückzuhalten hatte.
    Beim Verlassen des Chors wartete Cadfael eine Gelegenheit ab, um sich Abt Radulfus zu nähern.
    »Vater, auf ein Wort! Zu dieser Geschichte gibt es noch etwas mehr zu berichten, aber wohl besser nicht in der Öffentlichkeit, noch nicht.«
    »Hat er etwa nicht gelogen und gemordet?« fragte der Abt, ohne den Kopf zu wenden. Seine Stimme war zornig, aber leise

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