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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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genug, um nur bis an Cadfaels Ohren zu dringen.
    »Weder das eine noch das andere, Vater, wenn das, was ich vermute, zutrifft. Er hat alles gesagt, was er weiß, und alles, was er meint zu wissen, und ich bin sicher, er hat nichts verschwiegen. Doch es gibt Dinge, die er nicht weiß, Dinge, die seinen Fall, der auch dann noch abscheulich genug ist, ein wenig entlasten. Gewährt mir ein Gespräch unter vier Augen, und entscheidet dann, was geschehen soll.«
    Radulfus war stehengeblieben, ohne sich freilich zu Cadfael zu wenden. Er beobachtete, wie die letzten der Brüder, noch immer entsetzt und stumm, durch den Kreuzgang entschwanden, wie der karmesinrote Umhang des Grafen hochwirbelte, der, mit seinen beiden Knappen im Schlepptau, den Hof überquerte.
    »Ihr sagt, wir hätten bisher erst die halbe Geschichte gehört – die schlimmere Hälfte von allem, was zu sagen ist? Der junge Mann ist angemessen eingesargt worden, sein Priester bringt ihn noch heute nach Upton, damit er bei seinen Leuten begraben werden kann. Ich möchte seine Überführung nicht verzögern.«
    »Das ist auch nicht nötig«, sagte Cadfael. »Der Tote hat mir alles gesagt, was er zu sagen hatte. Um nichts in der Welt möchte ich ihn von seiner letzten Ruhestatt fernhalten. Aber das, was ich noch hinzufügen muß, habe ich erst jetzt richtig begriffen, obwohl der Beweis von seiner sterblichen Hülle und ihrem Auffindungsort erbracht wurde. Alles, was ich sah, hat auch Hugh Beringar gesehen, aber nach dem, was heute morgen ans Licht gekommen ist, lassen sich diese Einzelheiten lückenlos zusammenfügen.«
    »In diesem Fall«, sagte Radulfus nach kurzem Schweigen, »sollten wir Hugh herbitten, bevor wir weitere Schritte unternehmen. Ich brauche seinen Rat, und vielleicht braucht er Euren und auch meinen. Die Tat geschah jenseits unserer Mauern und fällt nicht unter meine Zuständigkeit, wohl aber vielleicht der Täter. Kirche und Staat müssen sich gegenseitig achten und einander beistehen, selbst in diesen schlimmen Zeiten. Denn wenn wir auch zwei sind, sollte die Gerechtigkeit nur eine einzige sein. Geht in die Stadt, Cadfael, und bittet Hugh, heute nachmittag zu einer Besprechung herzukommen.
    Dann wollen wir anhören, was Ihr uns zu sagen habt.« »Das will ich gern tun«, sagte Cadfael.
    »Und was soll ich nun von dem Kapitel mit Wundern halten, das ihr heute morgen aufgeschlagen habt?« fragte Hugh über den Mittagstisch hinweg. »Soll ich glauben, daß jede Antwort so treffend war, als wärt ihr das Evangelium durchgegangen und hättet alle Stellen markiert, die jeden Befrager in die Enge treiben würden? Bist du sicher, daß ihr das nicht auch getan habt?«
    Cadfael schüttelte energisch den Kopf. »Ich mische mich in die Dinge um meine Heilige nicht ein. Ich habe ein ehrliches Spiel getrieben, und die anderen auch, das schwöre ich. Als ich das Buch als erster in die Hand nahm, war keine Markierung, kein Hinweiszeichen darin. Ich öffnete es und erhielt meine Antwort, und die ließ mich klar sehen, wo ich vorher blind gewesen war. Aber wie ich das erklären soll, weiß ich nicht, es sei denn, sie selbst hat gesprochen.«
    »Und all die folgenden Orakelsprüche? Ramsey nicht nur zurückgewiesen, sondern angeprangert… Das war sicher ein Schock für Herluin! Und bei dem Grafen ließ sich die Heilige sogar herab, ihn mit einem Paradoxon zu necken! Schade nur, daß er es nicht hat entschlüsseln können, es hätte ihm gewiß Freude bereitet. Und dann der Spruch für Shrewsbury: »Ihr habt mich nicht erwählt, sondern ich habe euch erwählt.« Den halte ich mehr für eine Warnung als für eine Anerkennung. Sie erwählte euch, und sie kann euch genausogut wieder verlassen, wenn es ihr beliebt, und ihr solltet in Zukunft auf der Hut sein, denn sie wird sich nicht noch einmal ein solches Chaos gefallen lassen, das ihren Regeln widerspricht. Diese Worte sind wohl vor allem an Prior Robert gerichtet, der tatsächlich glaubt, er hätte sie erwählt, und der sich gleichsam als ihr Eigentümer betrachtet. Ich hoffe, er hat die Anspielung verstanden.«
    »Das bezweifle ich«, sagte Cadfael. »Er trug sie vielmehr wie einen Heiligenschein.«
    »Und dann noch ein Letztes, Cadfael: die Buchseiten, die von selbst umschlugen, um zur selben Stelle zu führen. Zu viele Wunder für einen einzigen Morgen!«
    »Wunder«, entgegnete Cadfael ein wenig salbungsvoll, »sind vielleicht nur göttliches Eingreifen in gewöhnliche Umstände.
    Warum auch nicht? Denn

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